Stand der Technik durch Akteneinsicht

F1

BRONZE - Mitglied
Hallo zusammen,

Nur eine kleine Frage:

Führt eine Akteneinsicht einer noch veröffentlichte Patentanmeldung zum Stand der Technik?

Und hat es ein Einfluss, ob der Auskunftsersuchende ein Rechtsanwalt ist?

Grüße...
F1
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Das hängt sicher vom Einzelfall ab.

Wenn z.B. der Anmelder selbst die Akteneinsicht beantragt, dann schafft das sicher keinen Stand der Technik. Dasselbe gilt wenn der Einsichtnehmende zur Vertraulichkeit verpflichtet ist, was oft der Fall sein dürfte (insbesondere wenn ein Anwalt Einsicht nimmt).

Wenn es jedoch solche Einschränkungen nicht gibt und der Einsichtnehmende alles, was er liest, auch weitererzählen darf, dann ist das bereits ab dem Tag der Einsichtnahme Stand der Technik nach Art. 54 (2) EPÜ, und nicht erst ab dem Tag, an dem der Einsichtnehmende es seinerseits (dann: unerlaubt) der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Wenn es auf den Tag der Einsichtnahme ankommt, wird derjenige, der behauptet, dass hierdurch Stand der Technik geschaffen wurde, i.d.R. beweisen müssen, dass keine Geheimhaltungsverpflichtung bestand.
 

F1

BRONZE - Mitglied
Danke für deine Antwort…

Normalerweise ist es so, das Dritte Folgeanmelder gegen über eine noch nicht Veröffentlichte Patentanmeldung nur das Kriterium der Neuheit erfüllen müssen, aber nicht die Erfinderische Tätigkeit.

Könnte man das Insofern verhindern, das ein Dritter, welche nicht zu Geheimhaltung verpflichtet ist, Akteneinsicht der noch nicht Veröffentlichte Patentanmeldung beantragt, Um somit dem Stand der Technik herbeiführen? Dementsprechend müsste dann für Folgeanmelder auch das Kriterium der Erfinderische Tätigkeit erfüllt werden…

Mir ist bekannt, dass man auch ein Antrag auch vorzeitige Veröffentlichung stellen kann. Das dauert aber laut Amt ca. 10 Wochen… Insofern dachte ich das man mit der Akteneinsicht schneller Stand der Technik herbeiführen kann…
 

Fragender

GOLD - Mitglied
Danke für deine Antwort…
Mir ist bekannt, dass man auch ein Antrag auch vorzeitige Veröffentlichung stellen kann. Das dauert aber laut Amt ca. 10 Wochen… Insofern dachte ich das man mit der Akteneinsicht schneller Stand der Technik herbeiführen kann…

Das könnte problematisch werden. Der "Dritte" müsste bei seinem Antrag als erstes ein ausreichendes Interesse erklären, das ihn zur Akteneinsicht berechtigt (und unter anderem erklären, woher er überhaupt von der Akte Kenntnis hat). Anschließend schreibt das Amt den Anmelder an und gibt ihm Gelegenheit sich zu äußern, üblicherweise mit einer nicht zu knappen Frist. Dann entscheidet das Amt, ob das Interesse des Dritten ausreichend ist, Einsicht zu gewähren.

Wenn es wirklich schneller gehen soll: Im WWW veröffentlichen und diese Veröffentlichung notariell überprüfen und bestätigen lassen. Damit hat man ein definitives Datum und mit der Bestätigung ausreichend Sicherheit. Alternativ gibt es ansonsten noch die eine oder andere Website, die zum Generieren von Stand der Technik gedacht ist.

Bei der Methode mit der Akteneinsicht hätte ich erhebliche Zweifel, ob die noch nicht offengelegte Anmeldung damit jemals SdT wird (schließlich hat nur eine "Person" Einsicht, nicht die Öffentlichkeit).
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Im Internet gibt es sicher noch einfachere Möglichkeiten, gut datierbaren Stand der Technik zu schaffen. Im Unterschied hierzu zeichnen sich OS und PS (auch bei vorzeitiger Offenlegung) dadurch aus, dass sie bei einer Recherche leicht gefunden werden können. Es kommt halt auf den Zweck an, warum etwas Stand der Technik werden soll.
 

F1

BRONZE - Mitglied
Danke euch für die Antworten...


Wie auffindbar muss den eigentlich die Offenbarung der Erfindung in WWW sein?

Würde es reichen, wenn man die Komplette Beschreibung der Erfindung als Blog (z.B. blogger.com) hochlädt? um StR zu generieren.

Aber wie soll die Beglaubigung durch den Notar erfolgen. bzw. wie soll der Notar den Blogbeitrag finden? Denn genauen Link kennt ja keiner, außer ich. Klar könnte ich diesen den Notar mitteilen. Aber wäre das nicht etwas zu einfach?
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Die Auffindbarkeit ist nur so lange ein Thema, wie der betreffende Stand der Technik noch nicht aufgefunden wurde und zur Akte gelangt ist. Denn bis dahin gilt die gesetzliche Fiktion der Patentfähigkeit. Ist der Stand der Technik erst mal im Verfahren, so ist die Auffindbarkeit unwesentlich.

Insbesondere bei Stand der Technik aus dem Internet ist der eigentliche Knackpunkt die Datierung, d.h., ob am angegebenen Tag das betreffende Dokument auch tatsächlich den aufgefundenen Inhalt hatte. Das ist bei "normalen" Internetseiten recht ungewiss, da diese laufend überarbeitet werden können, ohne dass der Autor auch die Datierung anpassen muss. Und wenn er das tut und das fragliche Datum liegt vor dem Änderungsdatum, dann weiß man auch nicht, wie das Dokument zuvor ausgesehen hatte. Erst Recht sind da nachträgliche Manipulationsmöglichkeiten gegeben.

Besser ist es da schon, wenn die Datierung von unabhängiger Seite erfolgt. Z.B. wäre es wohl praktisch kaum angreifbar, wenn jemand seinen (kompletten) Anmeldungstext hier in diesem Forum als Anlage zu irgendeiner Frage beigefügt hätte und Dritte dann auf Einzelheiten dieses Textes eingehen. - In jedem Fall wird wohl regelmäßig die Datierung durch Archive.org anerkannt, die aber nur punktuell und recht unregelmäßig erfolgt.

Wenn es hinlänglich wichtig ist, kann da natürlich eine notarielle Beglaubigung eine gewisse Sicherheit verschaffen. Aber selbst da könnte die Gegenseite vorbringen, dass das notarielle Dokument manipuliert ist, indem der fragliche Inhalt nur für wenige Minuten (während der notariellen Prüfung) im Internet sichtbar war, und deshalb es kein Fachmann finden konnte.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Die Auffindbarkeit ist nur so lange ein Thema, wie der betreffende Stand der Technik noch nicht aufgefunden wurde und zur Akte gelangt ist. Denn bis dahin gilt die gesetzliche Fiktion der Patentfähigkeit. Ist der Stand der Technik erst mal im Verfahren, so ist die Auffindbarkeit unwesentlich.

@Hans35: Kannst Du den vorstehenden Absatz mal erläutern? Ich habe noch nie etwas von einer "gesetzlichen Fiktion der Patentfähigkeit" gehört und verstehe auch nicht, warum das Thema der Auffindbarkeit "unwesentlich" sein soll, wenn Stand der Technik "erst mal im Verfahren ist".
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Gesetzliche Fiktion:

Art. 54 EPÜ:
Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört.

Art. 56 EPÜ:
Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Auffindbarkeit:

Ein (noch) nicht aufgefundener Stand der Technik kann die Wirksamkeit dieser Bestimmungen nicht verhindern. Wenn der Autor des StdT seine Veröffentlichung hinreichend gut versteckt hat (und es sonst keinen erheblichen Stand der Technk gibt) hat er allein den Bestand des Patent in der Hand.

Praktisch ist das bei Erfindungen interessant, die man dem Produkt nicht ansehen kann und die der Erfinder daher geheim halten will. Konkretes Beispiel, das mir dazu mal begegnet ist: Die Ausführung eines Getriebes, die besonders leise ist. (Das haben die Chinesen durch Abkupfern nicht hinbekommen.) Wenn dann ein Dritter dieselbe Erfindung macht, kann der Ersterfinder mit "verstecktem" Stand der Technik verhindern, dass der andere ein Patent bekommt, oder er kann auf Basis der "Fiktion" am Patent beteiligt werden. Oder noch besser: Man einigt sich rechtzeitig, dass die Anmeldung des "Zweierfinders" vor Offenlegung zurückgenommen wird. (Denn der Zweiterfinder weiß natürlich, dass der Ersterfinder konkurrenzlos leise Getriebe herstellt und kann rechtzeitig Kontakt aufnehmen.) Jedenfalls hält man dann die einem Patent entgegenstehende Veröffentlichung gemeinsam weiter versteckt. (No risk, no fun!)


Auffindbarkeit "unwesentlich":

Für die Wirksamkeit des Stands der Technik im Verfahren ist es unerheblich, ob das entsprechende Dokument Teil des "Standard-Prüfstoffs" von EPA oder DPMA ist, oder ob man es nur zufällig finden kann, wenn man nicht vorher schon weiß, wo man suchen muss.
 
Zuletzt bearbeitet:

Fip

*** KT-HERO ***
OK, danke, mir waren die Begrifflichkeiten in diesem Zusammenhang zwar noch nicht begegnet, aber so kann ich Deinen Beitrag auch einordnen und nachvollziehen.
 

F1

BRONZE - Mitglied
Wenn es hinlänglich wichtig ist, kann da natürlich eine notarielle Beglaubigung eine gewisse Sicherheit verschaffen. Aber selbst da könnte die Gegenseite vorbringen, dass das notarielle Dokument manipuliert ist, indem der fragliche Inhalt nur für wenige Minuten (während der notariellen Prüfung) im Internet sichtbar war, und deshalb es kein Fachmann finden konnte.

Ok. Aber könnte man es nicht so machen, das man den Notar zweimal beauftrag die Offenbarung der Erfindung zu Beglaubigen? Einmal eben nach Auftrag und dann noch mal 1-3 Wochen Später. Aber ohne ein genauen Termin dem Notar vorgewiesen zu haben. Also das der Notar selbst entscheidet, wenn er die Zweite notariellen Prüfung durchführt. Dann könnten Dritte eigentlich keine Zweifel begründen, das die Offenbarung nur kurz (während der notariellen Prüfung) im Internet sichtbar war.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Sicher könnte man das. Es bleibt aber immer bei dem Grundsatz, dass der jeweilige Sachverhalt der freien Beweiswürdigung unterliegt.

Im Jahr 2009 hatte das EPA mal mitgeteilt, wie es diese Beweiswürdigung bei Internetdokumenten handhabt: OJ 2009, 456 (Ausgabe 8-9/2009). Mir ist leider nicht bekannt, ob hiervon später ein aktualisierte Fassung veröffentlicht wurde.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Die RiLi stellen in G-IV 7.5 (https://www.epo.org/law-practice/legal-texts/html/guidelines/e/g_iv_7_5.htm) relativ ausführlich dar, wie der Beweis zu führen ist und welche Informationen dafür herangezogen werden können (scheint im Wesentlichen dem zitierten OJ zu entsprechen).



Demnach gilt grundsätzlich die "Balance of probabilities". Wenn das Dokument allerdings vom Einsprechenden oder aus dessen exklusiver Einflusssphäre stammt, werden strengere Anforderungen ("beyond reasonable doubt") gestellt (so erläutert in den Examination Matters 2017, vgl. auch RiLi E-IV 4.3).
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Zu 128 (1):
Der Anmelder kann seine Zustimmung von der Zusicherung der Vertraulichkeit abhängig machen.

Zu 128 (2):
Da hat der Anmelder ja selbst die Erfindung offenbart, die Vertraulichkeit besteht bereits nicht mehr. Der Antragsteller kann "die Veröffentlichung der Anmeldung" verlangen.
 

newpatent

*** KT-HERO ***
@Hans35

Zu 128 (1):
Der Anmelder kann seine Zustimmung von der Zusicherung der Vertraulichkeit abhängig machen.


Art. 128 (1) EPÜ lautet wie folgt:

"(1) Einsicht in die Akten europäischer Patentanmeldungen, die noch nicht veröffentlicht worden sind, wird nur mit Zustimmung des Anmelders gewährt."​

Leider kann ich dem A128(1) die Vertraulichkeit nicht unmittelbar entnehmen.
Hast du eine entsprechende Referenz, worin es explizit ausgeführt wird?


Zu 128 (2):
Da hat der Anmelder ja selbst die Erfindung offenbart, die Vertraulichkeit besteht bereits nicht mehr. Der Antragsteller kann "die Veröffentlichung der Anmeldung" verlangen.

Art. 128(2) EPÜ lautet wie folgt:

"(2) Wer nachweist, dass der Anmelder sich ihm gegenüber auf seine europäische Patentanmeldung berufen hat, kann vor Veröffentlichung dieser Anmeldung und ohne Zustimmung des Anmelders Akteneinsicht verlangen. "​

Leider kann ich hier nicht finden, dass der Anmelder die Erfindung selbst offenbart hat.
Hast du dazu eine Referenz?
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Zu (1): ... Leider kann ich dem A128(1) die Vertraulichkeit nicht unmittelbar entnehmen. Hast du eine entsprechende Referenz, worin es explizit ausgeführt wird?
...
Zu (2): Leider kann ich hier nicht finden, dass der Anmelder die Erfindung selbst offenbart hat.
Hast du dazu eine Referenz?

Leider nein, das ist nur mein persönliches Verständnis des EPÜ. Nach passender Rechtsprechung oder Kommentarliteratur musst du da selbst recherchieren.
 

newpatent

*** KT-HERO ***
@Hans35:

Nun liegt eine Verwirrung vor: Der Ausgang der Diskussion war doch, ob Art 128(1) und (2) EPÜ der Geheimhaltung unterliegt, um festzustellen, ob es SdT darstellt.

Eine Antwort auf einer derartige Frage sollte doch mittels Referenz oder Argument unterlegt sein und nicht einem Bauchgefühl folgen.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Jetzt bin ich verwirrt:

Man kann ein Gesetz richtig oder falsch lesen und es im Zusammenhang richtig oder falsch auslegen. Und bei Unklarheiten oder Spielräumen kann man z.B. als Richter die Autorität haben, es klarzustellen, was dann dazu führen kann, dass dann ein abweichendes Verständnis im entsprechenden Zusammenhang als "falsch" angesehen wird.

Mit "Bauchgefühl" hat das alles nichts zu tun.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Leider kann ich dem A128(1) die Vertraulichkeit nicht unmittelbar entnehmen.

Das musst du dort auch nicht entnehmen, das ergibt sich aus dem allgemeinen Vertragsrecht. Die Einsicht wird nur mit Zustimmung des Anmelders gewährt. Der Anmelder kann diese Zustimmung nach Lust und Laune geben oder verweigern. Er kann dem Antragssteller auch mitteilen, dass er seine Zustimmung nur gibt, wenn der Antragssteller bestimmte Konditionen erfüllt. Ihm zum Beispiel sechs Flaschen Château Mouton Rothschild 1945 übereignet, nackt um die Siegessäule rennt, oder eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreibt.

Ob er diese Konditionen erfüllen möchte, ist dann wiederum Sache des Antragsstellers.
 
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