EPÜ Teilpriorität II - Zahlenbereich

Hans35

*** KT-HERO ***
Die Beispiele dafür, dass die die Priorität bei einschränkenden Bereichsangaben nicht hält (wie etwa im Beispiel "RT-200°C" / "80-200°C") stammen, soweit ich das noch einmal angeschaut habe, alle aus der Chemie, und betraf dann Fälle, wo irgendetwas in Abhängigkeit von dem fraglichen Parameter unterschiedlich ablaufen kann. Diese Unterschiede werden dann regelmäßig zur Folge haben, dass aus der Offenbarung des Gesamt-Wertebereichs nicht mehr auf die Offenbarung des Teilbereichs geschlossen werden kann. Das geht so weit, dass (gemäß T 77/97) die Offenbarung einer Gruppe von Stoffen(auch von wenigen Stoffen) nicht die Offenbarung jedes einzelnen dieser Stoffe umfasst. Vielmehr dürfte ein einzelner Stoff aus dieser Gruppe eine andere Erfindung (eine Auswahlerfindung) darstellen und daher nicht als solcher ohne weiteres von der Offenbarung umfasst sein.

Dass eine solche Auswahl aus einem Bereich oder einer Gruppe in der Chemie praktisch immer zu irgendwelchen Vorteilen führt (und gerade deshalb auch diese Auswahl erfolgt) mag zu der Auffassung führen, dass die Priorität nur dann greift, wenn die Bereichsgrenzen genau übereinstimme, d.h. "unmittelbar und eindeutig" aus der Prioschrift entnehmbar sind. Denn wenn der Anmelder seine Prio-Anmeldung formuliert, wird er sich ja in der Regel überlegen, mit welchen Angaben seine Lehre "gerade noch hinreichend gut" funktioniert, und mit welchen nicht mehr. Das sind dann diese Bereichsgrenzen. Und Beschränkungen dieses Bereichs führen dann automatisch zu irgendwelchen Verbesserungen, ohne dass man überhaupt genau hinschauen muss, was sich da genau verbessert, oder dass dieser vorteilhafte Effekt "gefordert" werden muss.

Zumindest außerhalb der Chemie kann das aber schon mal anders sein. Bei der "teilreflektierenden Folie" ging es um die Größe eines projizierten Bildes, und für die Erfindung kam es nun wirklich nicht darauf an, ob Abmessungen des Bildes und die daran angepassten Hilfsmittel "unmittelbar und eindeutig" aus dem gesamten in der Prioschrift offenbarten Bereich entnehmbar sind, oder nur, wie beansprucht, aus einem Teilbereich davon; für die Erfindung hat das keinerlei Unterschied bedeutet.

Das ist vielleicht für einen Chemiker genau so ungewöhnlich, wie für einen Nicht-Chemiker, dass die Offenbarung einer Gruppe von Stoffen nicht automatisch jeden dieser Stoffe offenbart, so dass sie nachträglich nicht auch einzeln beansprucht werden können.

Vielleicht liegt die vermeintlich unterschiedliche Rechtsprechung zwischen BGH und GBK nur daran, dass im DPMA der Anteil der Anmeldungen mit chemischem Sachverhalt so viel kleiner ist und dadurch auch in der Rechtsprechung andere Schwerpunkte entstehen.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
@Hans:
Beim EPA müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein:
(1) Eckwerte weit genug entfernt
(2) Bereich muss eng sein
...
Mit solchen quantitativen Anforderungen, für die es keine rechten Maßstäbe gibt, kann ich irgendwie nichts anfangen. Das hört sich für mich genau so an, wie wenn "die Erfindungshöhe hoch genug" sein muss. (Das hat sich ja mit der Definition "durch den Stand der Technik nahegelegt" ziemlich überlebt.) Hier wie dort müsste für jeden Gegenstand wohl ein anderer Maßstab gelten, zumal wenn bei Zahlenangaben Werte in Prozent möglich sind, und das kann dann auf ziemliche Willkür hinauslaufen. Grundsätzlich soll doch nur entschieden werden, ob die Erfindung in der beanspruchten Form bereits in der Prioritätsschrift offenbart war, so dass dem Fachmann mit der Lehre des zu beurteilenden Patentanspruch nichts gesagt wird, was er nicht bereits aus der Prioschrift wissen kann. Mir scheint da zumindest fraglich, ob "vom Eckwert weit genug entfernt" ein brauchbares, d.h. vor allem eindeutiges Kriterium ist.

Unabhängig hiervon kann man natürlich immer alles so hinnehmen, wie man es vorfindet.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Der jeweilige Anmelder sollte sich jedenfalls fragen, welche Gründe und Vorteile für seine Anmeldung es gibt, die es rechtfertigen können, bei Zahlenangaben von der Prio-Anmeldung abzuweichen. Wenn er nachträglich wirklich etwas besser weiß, dann darf er sich nicht wundern, wenn die Priorität nicht hält.

Bei der "teilreflektierenden Folie" bestand wohl das Problem, dass eine Maßangabe, die in der Prio-Anmeldung nur grob in der Zeichnung offenbart war, für die Nachanmeldung und den dortigen Patentanspruch in eine Zahlenangabe umgewandelt wurde. Auch dafür dies zuzulassen hat der BGH wohl viel Kritik bekommen. Der Anmelder wäre da wohl gut beraten gewesen, einen sichereren Weg zu suchen.

Bei bloßen Umrechnungen (von inch in Meter o.ä.) dürfte es eher selten Bedenken geben. Aber auch da sind Probleme denkbar, z.B. wenn die Angabe 25,4 cm - statt 10 Inch in der Prio-Anmeldung - dem Fachmann eine mm-genaue Vorgabe vortäuscht, die der Prio-Anmeldung nicht entnehmbar ist.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Hier handelt es sich, wenn ich es richtig sehe, um eine chemische Reaktion ("heat treating"), von der a priori anzunehmen ist, dass sie bei unterschiedlichen Temperaturen unterschiedlich abläuft. Daher wird der Anspruch "80-200°C", der den (vielleicht bzgl. der Ausbeute ungünstigeren?) Tieftemperaturbereich ausklammert, im Sinne einer Auswahlerfindung eher wohl neu gegenüber der Prio "RT-200" gewesen sein, so dass diese Prio nicht hält.
Die beiden Bereiche haben dieselbe Obergrenze! Damit ist 80-200°C von RT-200°C direkt neuheitsschädlich getroffen. Wie soll das denn bitte neu sein?

Was meinst du damit? Damit eine Erfindung gegenüber einer anderen neu ist, muss ein vorteilhafter Effekt existieren? In dieser Allgemeinheit sicher nicht, nur eben bei einer Auswahlerfindung bezüglich einer Bereichsangabe, was dann aber ggf. die Inanspruchnahme der Priorität verhindert.
Nein, dieses Erfordernis ist auch bei einer Auswahlerfindung bezüglich einer Bereichsangabe weggefallen!
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Zu Fall II:
Daher könnte die Antwort auf Frage II Prio2 oder gar keine lauten.

Prio1 (A 1-10) kommt nicht in Betracht. Fraglich ist, ob Prio 2 (A 2-9) als erste Anmeldung angesehen werden kann, obgleich es nicht neu ist?

Ich würde eher sagen, es kann nur Prio2 oder Prio1 sein. Denn Prio2 offenbart klar das Gleiche wie die Nachanmeldung. Die Gültigkeit der Prio2 kann daher nur daran scheitern, dass derselbe Gegenstand schon vorher vom Anmelder eingereicht wurde (in der Prio1).

MMn ist die Beanspruchung der Prio2 gültig, die der Prio1 nicht. Ob das Probleme mit Neuheit ergibt, hängt von den Umständen ab. Prio1 ist ja nicht automatisch SdT.
 
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