EPÜ Zwei Pat-Anwälte, zwei Meinungen zur Rücknahmefiktion bei EP-Anmeldung (Prio DE)

Larachen-10

Vielschreiber
Liebe "Kandidaten",

nehmen wir mal an, die X habe eine prioritätsbegründende Anmeldung A beim DPMA liegen. Diese möchte die X nun über einen der Patentanwälte P1 / P2 und Prio aus A dem EPA vorlegen.

Der P1 informiert die X darüber, dass es zu einer Rücknahmefiktion kommen könne, da die Anmeldung noch anhängig sei und die Gewährung des Patents ausstehe.

Der P2 schließt die Rücknahmefiktion aus, ist aber nicht der bevorzugte Patentanwalt der X.

Soweit die X informiert ist, kommt es bei einer EP-Anmeldung nicht zu einer Rücknahmefiktion. Hat sich das inzwischen geändert? Käme es dann nicht zu einer Doppelpatentierung?
 

Expatriot

GOLD - Mitglied
Hallo Larachen-10,

ich bin verblüfft, dass es da zwei Meinungen geben kann. Meine unbedeutende Meinung:

Die Ansicht von P1 trifft nach allem was ich kenne nicht zu. Die Argumentation würde mich aber interessieren, wie P1 zu der Schlussfolgerung gelangt.

Doppelpatentierung wird in Deutschland durch das IntPatÜbkG verhindert. Ich muss zugeben, mir ist selbst nicht ganz einleuchtend, warum die Doppelpatentierung überhaupt ein Problem ist, aber das ist eher mein persönliches Problem.

Viele Grüße,

Expatriot
 

Lysios

*** KT-HERO ***
ich bin verblüfft, dass es da zwei Meinungen geben kann.

Vielleicht ist es nur ein Kommunikationsproblem, weil es doch eher unwahrscheinlich ist, dass P1 und P2 direkt miteinander kommuniziert haben?

Möglicherweise hat P1 vom Verbot der Doppelpatentierung nach Art. II § 8 IntPatÜG mit X gesprochen, ohne natürlich die exakten Paragraphen anzugeben? Vielleicht wurde dabei auch das Thema Rücknahmefiktion besprochen, weil X dieses Problem bereits schon kannte? Möglicherweise ist dann in der offensichtlich späteren Diskussion von X mit P2 dann das Doppelpatentierungsproblem mit der Rücknahmefiktion von X absichtlich oder unabsichtlich vermengt wurden? Oder X wollte P2 einfach nur auf seine Fähigkeiten testen?
 

Larachen-10

Vielschreiber
Die X hat die Anmeldung A vor dem DPMA selbst angestrebt und möchte diese unter Prio aus A von einem Profi auf den EPA-Raum ausweiten. Nehmen wir einfach an, die X habe dazu diverse Patenanwälte angefragt, von denen der P1 die besagte Äußerung gemacht hat.

Zusatzfrage: Nehmen wir mal an, die X wolle die Schrift A, welche diese durch Zutun eines fachkundigen Freundes verfasst hat, erweitern, indem ein Merkmal A aus einem untergeordneten Anspruch präzisiert wird zu: kann bestehen aus a' oder a'', eine Information, die weder in der Beschreibung noch in den Ansprüchen der Schrift A offenbart ist. Zwar ist eine Vorrichtung zur Aifnahme des Merkmals A offenbart, nicht jedoch, wie A gebildet sein kann. Darf die Anmeldung vor dem EPA eine Erweiterung enthalten oder muss diese 1:1 erfolgen?

Gruß Lara:)
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Eine Rücknahmefiktion im Sinne von § 40 Abs. 5 PatG gibt es nicht, wenn dieselbe Erfindung wie A als EP-Anmeldung "dem EPA vorgelegt" wird. Denn dann handelt es sich nicht um eine Anmeldung beim DPMA, für die § 40 PatG gilt und die deshalb diese Wirkung auslösen kann. Insofern liegt P2 richtig.

Allerdings kann es auch sein, dass das "Vorlegen beim EPA" (bei dieser Formulierung von Larachen-10 kann man eine Fangfrage wittern) in Form einer PCT-Anmeldung erfolgt, in der auch D benannt ist. Diese Anmeldung kann dann später als nationale Anmeldung im DPMA weitergeführt werden und für die gilt dann § 40 PatG. Ohne Benennung von D gibt es dabei aber keine Rücknahmefiktion für A.

Wie schon Lysios geschrieben hat, könnte P1 sich auch auf Art. II § 8 IntPatÜG beziehen, was aber niemand als "Rücknahmefiktion" bezeichnen würde.

Im Hinblick auf das "Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung" habe ich noch nichts Konkretes gelesen, ob und wie eine "Doppelpatentierung" verhindert werden soll; vermutlich garnicht. Art. II § 8 IntPatÜG gilt jedenfalls nur in einer Übergangszeit bei "Opt-Out" zum bisherigen "Bündelpatent". Von einer Anpassung von § 40 PatG habe ich nichts gehört.


Zur Zusatzfrage:

Anmelden "darf" man immer alles, ohne Rücksicht auf den Inhalt von Prio-Anmeldungen. Die Wirkung einer Prioanmeldung beschränkt sich darauf, ob Stand der Technik aus dem Prio-Intervall patenthindernd berücksichtigt wird. Was in A nicht offenbart ist, hat auch keine Prio-Rechte, trotz Inanspruchnahme der Priorität von A.

Und es gibt Nebenwirkungen, z.B. dass die 18monatige Offenlegungsfrist ab dem Anmeldetag der A zählt. Dies auch, wenn die Inanspuchnahme der Prio mangels Erfindungsidentität unwirksam ist und Stand der Technik aus dem Prio-Intervall berücksichtigt werden muss.
 
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