EPÜ Aussage des Vorsitzenden in Einspruchsverhandlung

kandidatin

SILBER - Mitglied
Hallo,

in einer Einspruchsverhandlung vor dem EPA ging es zunächst um die Neuheit. Der Vorsitzende der Einspruchsabteilung hat auf Nachfrage des Patentinhabers erklärt, dass die Abteilung - abweichend von ihrer vorherigen Sichtweise - von den Entgegenhaltungen D1, D2 und D3 die Entgegenhaltungen D1 und D2 nicht mehr als neuheitsschädlich ansieht, gegebenenfalls aber die D3. Daraufhin ist der Patentinhaber nicht auf die D1 und die D2 eingegangen, sondern hat ausführlich zur Neuheit gegenüber der D3 Stellung genommen.

Nach einer Verhandlungspause zur Entscheidungsfindung erklärt die Abteilung, dass der Gegenstand des Hauptanspruchs nicht mehr neu sei, und zwar sowohl gegenüber der D3 als auch gegenüber der D1.

Ist das schon fehlendes rechtliches Gehör? Schließlich hat der Inhaber nur wegen der geäußerten Einschätzung des Vorsitzenden nicht zur Neuheit gegenüber der D1 Stellung bezogen.

Grüße

Bille
 

Sousse

BRONZE - Mitglied
Nun, wenn die Neuheitsfrage mal im Raum stand, dann nein.

Versagen rechtlichen Gehörs ist ein Verfahrensfehler, den Du wahrscheinlich aus zwei Gründen nicht geltend machen kannst.

Zum einen heißt Versagen rechtlichen Gehörs, dass Du zum entscheidungserheblichen Sachverhalt keine Stellungnahme abgeben konntest. Anders als in der ZPO muss der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht allein in der mündlichen Verhandlung diskutiert werden, sondern kann sich auch auf das schriftliche Vorverfahren erstrecken.

Zum anderen reicht ein Verfahrensfehler allein nicht aus, damit Du davon profitieren kannst - ob durch Rückzahlung der Beschwerdegebühr oder anderweitig. Du musst auch noch aufzeigen, dass durch den Verfahrensfehler eine falsche Entscheidung zustande gekommen ist. In Deinem Fall ist das wahrscheinlich nicht der Fall, weil ja noch ein Widerrufsgrund gestützt auf die D3 vorliegt - der soweit ich das Deinem Sachverhalt entnehmen kann, verfahrensrechtlich korrekt abgewickelt wurde.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Wenn das, was du da schreibst, nur die mündliche Begründung nach der Verhandlung war, dann ist das sowieso nur Schall und Rauch. Es kommt einerseits darauf an, was im Protokoll der Verhandlung steht (v.u.g.), und andererseits, wie der Widerruf schriftlich begründet wird.

Wenn im Protokoll steht, dass die Neuheit gegenüber der D3 diskutiert wurde, und der Widerruf wird mit fehlender Neuheit gegenüber der D3 begründet, dann liegt sicher kein Verfahrensfehler vor. Dasselbe gilt, wenn da nur allgemein steht, dass die Neuheit diskutiert wurde, oder noch allgemeiner, dass die Patentfähigkeit diskutiert wurde.

Wenn allerdings im Protokoll steht, dass der Hinweis gegeben wurde, dass die Abteilung die Neuheit gegenüber der D1 als gegeben erachtet, dann wäre jedes Mitglied der Einspruchsabteilung einzeln mit dem Klammerbeutel gepudert, das nachher unterschreibt, dass das Patent mangels Neuheit gegenüber der D1 widerrufen wird.
 

kandidatin

SILBER - Mitglied
Danke für Eure Hinweise. Sehe ich ähnlich. Tatsächlich wurde der Hinweis, dass die D1 und D2 nicht als neuheitsschädlich angesehen werden, IN der Verhandlung bzw. der Diskussion zur Neuheit gegeben, um erst nach der Pause zu verkünden, dass es wieder anders beurteilt wurde. Der Patentinhaber schaute auch recht konsterniert bzw. ungläubig als dies kundgetan wurde.

Aber letztlich war es erst die Verhandlung im Einspruch, nicht die Beschwerdeverhandlung, so dass alles noch einmal auf`s Tapet kommen dürfte, ohne dass man überhaupt die Verwehrung rechtlichen Gehörs thematisieren müsste.

Gruß

Bille
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Ja, es ist eine Phantomdiskussion, denn in der Beschwerde kann die Neuheit gegenüber D1 wieder thematisiert werden. Wenn die Beschwerdekammer entscheidet, dann ist also in jedem Fall rechtliches Gehör wieder gewährt worden.

Die Frage, ob die Einspruchsabteilung rechtliches Gehör gewährt hat, spielt nur für die Frage eine Rolle, ob die Beschwerdegebühr rückerstattet wird. Und das ist hier ausgeschlossen, da, selbst Versagung des rechtlichen Gehörs unterstellt, die Entscheidung nicht (allein) auf diesem Verfahrensfehler beruht.

Ich hatte selbst mal den Fall, dass die Beschwerdekammer mir die Versagung des rechtlichen Gehörs in der 1. Instanz bestätigt hat. Die Einspruchsabteilung hatte die Begründung der Nichtausführbarkeit auf eine Tatsache gestützt, die nie thematisiert worden war. Allerdings ging es da nur um einen Hilfsantrag. Der Hauptantrag war bereits bei Art. 123(2) gestorben. Da ich in der Beschwerde den Hauptantrag wieder eingebracht habe, gab es kein Geld zurück, da ich auch die Zurückweisung des Hauptantrags angegriffen hatte, wofür ich ohnehin eine Beschwerdegebühr hätte zahlen müssen (selbst wenn der Hilfsantrag bei korrektem Verfahren überlebt hätte). Das Geld hätte ich nur zurückgekriegt, wenn ich nur den Hilfsantrag (und engere Anträge) weiterverfolgt hätte.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Aber letztlich war es erst die Verhandlung im Einspruch, nicht die Beschwerdeverhandlung, so dass alles noch einmal auf`s Tapet kommen dürfte, ...
Ich fände es ziemlich traurig, wenn es die allgemeine Meinung wäre, dass nur die Beschwerdeverhandlung zu einer "richtigen" Entscheidung (im doppelten Sinne: korrekt und endgültig) führt.

Vielmehr sollte es so sein, dass nur ausnahmsweise so gravierende Fehler in der Einspruchsverhandlung gemacht werden, dass sich eine Beschwerde und das erneute Durchkauen des gesamten Stoffes lohnt.

Ist das nur ein frommer Wunsch?

Allerdings habe ich schon mehrfach die Meinung gehört, dass entweder das Patentrecht (und natürlich nicht nur dieses) so kompliziert und/oder die Ausbildung der Prüfer so schlecht ist, dass (zumindest zumeist) Entscheidungen kaum vorhersehbar sind. Aber da bin ich ganz anderer Auffassung!

Ich denke vielmehr, dahinter stecken nur psychologische Effekte. Denn im Mittel verliert einer von zwei Beteiligten seinen Prozess, obwohl ihm vorher gesagt wurde, dass das Verfahren zumindest aussichtsreich ist. Da muss doch jemand dran schuld sein, und möglichst einfache und verständliche Erklärungen sind gesucht!

Auf dieser Basis gedeihen Verschwörungstheorien.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Vielmehr sollte es so sein, dass nur ausnahmsweise so gravierende Fehler in der Einspruchsverhandlung gemacht werden, dass sich eine Beschwerde und das erneute Durchkauen des gesamten Stoffes lohnt.

Zumindest der Großteil meiner Mandanten trifft die Entscheidung, ob eine Beschwerde eingelegt wird, unter rein wirtschaftlichen und nicht rechtsphilosophischen Gesichtspunkten. Will sagen, es kommt nur sekundär darauf an, ob die Entscheidung "richtig" war. Es werden schlicht die Kosten und die Aussichten eines Beschwerdeverfahrens abgewogen.

Wenn zum Beispiel gerade ein Patent, das 100 Millionen wert ist, vernichtet wurde, dann wird der Mandant auch bei einer nur 1%-igen Erfolgsaussicht des Beschwerdeverfahrens gerne eine hohe fünfstellige Summe für dessen Durchführung bereitstellen. Auch wenn der Anwalt ihm erklärt, dass die Entscheidung im Prinzip schon ok ist, und eine Aufhebung sehr unwahrscheinlich (1% eben).

Wenn hingegen ein nicht so wichtiges Patent so eingeschränkt wurde, dass der Mandant noch damit leben kann, dann findet auch dann keine Beschwerde statt, wenn der Anwalt Stein und Bein schwört, dass die Einschränkung eine klare Fehlentscheidung ist und die Beschwerdekammer sie höchstwahrscheinlich aufheben wird.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Sicher wird es so sein, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Beschwerde nicht nur mit den Erfolgsaussichten, sondern auch mit dem Wert des Patents im Vergleich zu den voraussichtlichen Kosten beim Unterliegen steigen wird. Ich glaube aber nicht, dass beide Effekte gleich stark sind, sie werden wahrscheinlich nicht einmal unabhängig voneinander sein.

Gefühlsmäßig hoffe und vermute ich, dass die Erfolgsaussicht der dominierende Einfluss sein wird, dass also erkennbar entscheidungserhebliche Verfahrensfehler oder (vermeintliche) Fehlbeurteilungen von Offenbarung oder Stand der Technik der Hauptgrund für eine Beschwerde sind.

Empirische Untersuchungen zu den Gründen, Beschwerde gegen eine Einspruchsentscheidung einzulegen, habe ich leider noch nicht gesehen. Aber das wäre wohl auch nicht so einfach. Vielleicht kann man ja noch die Erfolgsaussicht, die der Entscheidung zu Grunde liegt, einigermaßen im Nachhinein an Hand der tatsächlichen Entscheidungen des Gerichts messen. Das besagt aber nichts darüber, wieviele Beschwerden trotz hoher Erfolgsaussicht nicht eingelegt werden, und warum. Und auch eine Beurteilung des "Werts des Patents" dürfte so kurz nach der Erteilung noch recht unscharf sein, und sie wird verfälscht sein, wenn eine solche Untersuchung dies erst lange Zeit später abfragt.

Grundsätzlich könntest du aber schon damit Recht haben, dass bei höherem "Wert des Patents" eine Beschwerde durchschnittlich seltener Erfolg hat, weil sie auch bei geringerer Erfolgsaussicht eingelegt wird.
 
Zuletzt bearbeitet:

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Ich meine, dass auch oft eine Art "Gefangenendilemma" eine Rolle spielt, nämlich in den Fällen, in denen ein Patent eingeschränkt aufrechterhalten wird. Insbesondere der Patentinhaber wird in so einem Fall allein schon deshalb Beschwerde einlegen, weil er damit rechnen muss, dass die Gegenseite das tut, und er damit sowieso ein Beschwerdeverfahren am Bein hat. Dann kann er auch direkt die (selbst wenn geringe) Chance wahrnehmen, seine Position wieder zu verbessern.
 
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