EPÜ Rechtskrafteinwand im Einspruchsverfahren?

Fip

*** KT-HERO ***
Anmelder A wird ein Patent P erteilt, dass den Gegenstand A+B+C unter Patentschutz stellt. In einem hitzigen Einspruchsverfahren, dass Einsprechender E gegen Patent P von Anmelder A führt, wird das Patent schließlich durch die Beschwerdekammer des EPA rechtskräftig wegen neuheitsschädlicher Vorwegnahme durch eine offenkundige Vorbenutzung von E widerrufen, nachdem die Kammer zahlreiche strittige Beweise, einschließlich einer Zeugenaussage ihres Mitarbeiters M, zugunsten des Einsprechenden gewertet hatte.


Von A war rechtzeitig eine Teilanmeldung T eingereicht worden, deren Hauptanspruch sich auf einen Gegenstand A+B richtet. Merkmal C ist Gegenstand eines Unteranspruchs. In ihrer unendlichen Weisheit und ohne die Akten des zuvor geführten und die Stammanmeldung betreffenden Einspruchsverfahrens zu Rate zu ziehen, erteilt die Prüfungsabteilung das Patent auf den Gegenstand A+B mit dem auf Merkmal C gerichteten Unteranspruch.


E legt erneut Einspruch ein. Der Mitarbeiter M steht nicht mehr zu einer Zeugenaussage zur Verfügung (er arbeitet jetzt bei A, oder ist auf unendlich langer Weltreise, oder ist gegen einen Baum gelaufen und tot umgefallen, oder ist von Außerirdischen entführt worden, ...). E argumentiert, dass Patent sei schon deswegen zu widerrufen, weil es eine rechtskräftige Entscheidung bezüglich des Gegenstands A+B+C gibt, die zwischen den Parteien Wirkung entfaltet, und das auf die Teilanmeldung erteilte Patent stellt diesen Gegenstand unter Schutz. Dies widerspräche dem Prinzip des "res judicata".


Oder mit anderen Worten und etwas allgemeiner: Ermöglicht eine rechtskräftig gewordene Widerrufsentscheidung, die ein Einsprechender bzgl. eines Stammpatents erstritten hat, irgendwie eine Art Rechtskrafteinwand gegen ein auf eine Teilanmeldung hin erteiltes Patent, wenn dieses den Gegenstand des widerrufenen Stammpatents vollumfänglich unter Schutz stellt?
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Es ist zu befürchten, dass du da Pech hast.

Art. 100 EPÜ nennt die Widerrufsgründe abschließend. Von einem "Rechtskrafteinwand" steht da nichts. Vielmehr muss der Nachweis, dass Patentfähigkeit nicht gegeben ist, erneut geführt werden.

Ein Fehler im Erteilungsverfahren ist auch kein Widerrufsgrund. Hier wäre wohl ein solcher Fehler, dass das "Verbot" der Doppelpatentierung nicht beachtet wurde. Oder genauer: dass ein Rechtschutzbedürfnis für ein solches "Zweitpatent" (zumindest für den Anspruch A+B+C) nicht gegeben ist. Nützt aber nichts.

Evtl. kann man aber das Protokoll der Zeugeneinvernahme des Zeugen M aus dem ersten Einspruchsverfahren in das zweite Verfahren einführen.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Evtl. kann man aber das Protokoll der Zeugeneinvernahme des Zeugen M aus dem ersten Einspruchsverfahren in das zweite Verfahren einführen.

Das kann man ganz sicher.

Und auch wenn es einen formalen Rechtskrafteinwand nicht gibt und "res judicata" nur im selben Verfahren gilt (also nach Zurückverweisung von der Beschwerdekammer an die Einspruchsabteilung können die von der Kammer bereits entschiedenen Punkte nicht mehr zur Disposition gestellt werden), entfaltet eine bereits rechtskräftige Beschwerdekammerentscheidung betreffend dieselbe Faktenlage in einem anderen Verfahren schon einen - öhm- erheblichen Einfluss auf eine Einspruchsabteilung. Denn für eine Beschwerde wäre ja höchstwahrscheinlich dieselbe Beschwerdekammer zuständig, die sich zum Affen machen würde, wenn sie dieselbe Faktenlage zweimal unterschiedlich bewertet.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Erstmal danke für Antworten.


"Res judicata" ist beim EPA übrigens nicht nur "im selben Verfahren" anerkannt, wie Asdevi meint. Es gibt Entscheidungen (z.B. T 0051/08 and T 0790/10), die ausführen, dass es wegen "res iudicata" einem Anmelder verwehrt ist, in einer Teilanmeldung einen Patentanspruch zu verfolgen, wenn dieser bereits in einer vorausgegangenen Entscheidung zur Stammanmeldung rechtskräftig zurückgewiesen wurde. In einem solchen Fall ist es der Prüfungsabteilung sogar verwehrt (von Amts wegen), sich überhaupt mit einem derartigen Anspruch inhaltlich zu befassen. Allerdings betrifft diese Rechtsprechung ja zunächst einmal nur das ex parte Verfahren.



Auch hier ließe sich allerdings grundsätzlich das Argument bringen, dass das EPÜ abschließend die Prüfung der Patentierungserfordernisse regele und dass von einem "Rechtskrafteinwand" im EPÜ nichts stehe, und dass vielmehr von der Prüfungsabteilung der Nachweis, dass Patentfähigkeit nicht gegeben ist, erneut geführt werden müsse. Dem ist nach der Rechtsprechung aber nicht so.



Ich verstehe das Argument von Hans35 durchaus und ich befürchte auch, dass er Recht behalten wird, aber wirklich einleuchten tut es mir nicht, dass ein Einsprechender sich nicht zu seinen Gunsten auf "res judicata" berufen können soll.


Wie wäre es mit Art. 125 EPÜ? "Res judicata" ist schließlich ein allgemeiner und international gültiger Verfahrensgrundsatz.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Als Ergänzung und im Hinblick auf Art. 125 EPÜ folgendes Zitat aus T 0051/08:


"3. In the present case, the appellant has submitted a set of 18 claims which undisputedly corresponds, at least in its independent claims, to auxiliary request two of decision T 1180/04 concerning the parent application. In decision T 1180/04, the then competent board decided that independent claims 1 and 12 were not inventive and dismissed the appellant's appeal. In G 1/97 (OJ EPO 2000, 322, point 2(a) of the reasons) the Enlarged Board of Appeal stated that decisions of the boards of appeal become final as soon as they are issued. This means that the board's ruling becomes binding. This principle of res iudicata is generally accepted in the contracting states and acknowledged by the boards of appeal (see e.g. J 3/95, OJ EPO 1997, 493; T 167/93, OJ EPO 1997,229). The meaning of the legal term res iudicata is old and well-established: it defines "...a matter finally settled by a Court of competent jurisdiction, rendering that subject matter conclusive as to the rights of the parties and their privies" (see Black's Law Dictionary, 5th Edition). Such a final judgement by a court of competent jurisdiction therefore constitutes an absolute bar to a subsequent legal action involving the same claim, demand or cause of action, and the same parties or privies (T 934/91, OJ EPO 1994, 184, point 3 of the reasons). Once a final judgement has been handed down, subsequent judges who are confronted with a suit that is identical to or substantially the same as the earlier one and between the same parties, are prevented from deciding on it a second time."
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Ich denke, das Prüfungsverfahren ist anders als das Einspruchsverfahren zu beurteilen. Denn da kann sich der Prüfer letztlich auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis stützen; "res judicata" ist da eigentlich nur dasselbe mit anderen Worten.

Das erteilte zweite Patent fällt hingegen nicht automatisch mit dem ersten, nur weil die Ansprüche identisch sind. Es muss vielmehr gesondert angegriffen werden. Es wird durch den Widerruf des ersten Patents nicht in dem Sinne wirkungslos, dass es nicht mehr Grundlage einer Verletzungsklage sein kann. Solange es nicht widerrufen wurde, bleibt es jedenfalls in Kraft.

Für einen zulässigen Einspruch gegen das zweite Patent muss jedenfalls einer der Widerrufsgründe vorgetragen werden. Der bloße Verweis auf die Entscheidung im ersten Einspruchsverfahren dürfte wohl nicht genügen; jedenfalls würde ich das nicht ausprobieren (und deshalb wird man wohl auch keine Entscheidung dazu finden).

Und solange sich die Patente auch nur in einem Wort der Beschreibung unterscheiden, muss in dem zweiten Einspruchsverfahren dem Patentinhaber Gelegenheit gegeben werden, seine Auffassung vorzutragen, dass dadurch "alles ganz anders" ist.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Je tiefer ich dieses Thema einsteige, desto schwieriger wird es, eine Antwort zu finden, deswegen gehe ich das Thema nochmal losgelöst vom beschriebenen Eingangsfall wie folgt an:


Ein Einsprechender hat in einem Einspruchsverfahren gegen ein Patent EP1 (erteilt auf ursprüngliche Stammanmeldung) eine ihm günstige, rechtskräftige Beschwerdekammer-Entscheidung erstritten, dass ein bestimmter Gegenstand nicht patentiert werden kann, weil er nicht patentfähig ist.


Die Prüfungsabteilung patentiert auf eine Teilanmeldung hin ein Patent EP2, dessen Schutzumfang den Gegenstand von EP1 vollumfänglich umfasst.


Dazu sollte es eigentlich nicht kommen, wenn die Prüfungsabteilung vernünftig arbeitet, was sie aber (völlig überraschender Weise :rolleyes:) nicht getan hat. Zum einen stellt sich hier die Frage des Verstoßes gegen das Doppelpatentierungsverbot (siehe Leitsatz III. in T 307/03). Zum anderen stellt sich die Frage des "res judicata" (siehe vorherige Beiträge zu diesem Thread). Es stellt sich ggf. auch die Frage zum Thema "ne bis is idem". Über all dem schwebt die Frage, was genau "derselbe Gegenstand" oder "dieselbe Sache" ist, weil alle diese Prinzipien irgendwie davon abhängen.


Ungeachtet dessen frage ich mich:


Wenn der Einsprechende eine ihm günstige Entscheidung erstritten hat, dass ein bestimmter Gegenstand nicht patentfähig ist, dann hat er sich damit meiner Auffassung nach eine Art schutzwürdigen Besitzstand erstritten. Der Einsprechende hat die ihm gestzlich zur Verfügung gestellten Mittel genutzt, um von dem gesetzlich hierzu vorgesehenen Entscheidunggremium eine Entscheidung zu erwirken, die ihm final und abschließend Brief und Siegel darauf gibt, dass es für diesen Gegenstand kein europäisches Patent gibt. Wie kann es überhaupt theoretisch verfahrensrechtlich möglich sein, dass dieselbe Stelle (also wieder eine Beschwerdekammer des EPA) derselben Person in einem das Patent EP2 betreffenden Einspruchsverfahren diesen rechtmäßig erstrittenen Besitzstand faktisch wieder nehmen kann, in dem es - warum auch immer - anders entscheidet und den Einspruch gegen EP2 zurückweist?
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Ich denke nicht, dass man eine rechtskräftige BK-Entscheidung als "Besitzstand" betrachten kann. Zunächst hat ja patentrechtlich der Anmelder ein Recht auf ein Patent, wenn es den gesetzlichen Anforderungen genügt.


Abweichende Entscheidungen bei vergleichbarem Sachverhalt können durchaus vorkommen, z.B. wenn sich in der Zwischenzeit die Rechtslage geändert hat oder weil eine der Entscheidungen falsch war (hier ggf. die erste, die dem Patentinhaber sein Recht genommen hat).
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Die zweite Patent (bzw. die zugehörige Teilanmeldung) könnte inzwischen auch auf auf einen anderen Patentinhaber übertragen worden sein. Dann muss ich mich jedenfalls mit diesem gesondert auseinandersetzen.
 
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