Regel 62(a)1 EPÜ i.V.m. Regel 43 (2c) EPÜ

stat80

BRONZE - Mitglied
Hallo an alle,

Im Rahmen meiner Ausbildung habe ich vor kurzem eine Akte auf den Tisch bekommen, an die eine Aufforderung zur Angabe der zu recherchierenden Ansprüche nach Regel 62(a)1 EPÜ angeheftet war.

Nach einer umfassenden Recherche zu dem Thema und einer Rücksprache mit meinem Ausbilder, weiß ich was prinziell zu tun ist. Nichtsdestotrotz ist ein entscheidender Punkt weiterhin unklar.

Die Anmeldung hat insgesamt 9 Ansprüche, 4 davon sind unabhängig. Der Prüfer hat festgestellt, dass alle unabhängigen Ansprüche zu derselben Kategorie/Gruppe gehören. In der Aufforderung zur Angabe der zu recherchierenden Ansprüche nach Regel 62(a)1 EPÜ soll nun ein unabhängiger Anspruch gewählt werden. (soweit so gut)

Würde man jetzt den einfachen Weg gehen und tatsächlich nur einen der vier unabhängigen Ansprüche auswählen, würde der Mandant einen großteil seines Schutzumfangs verlieren.

Ich möchte jetzt natürlich, dass der Prüfer möglichst alles recherchiert. Deswegen habe ich mit Hilfe der Guidelines versucht eine Strategie zurecht zu legen.

Das Problem von mehreren unabhängigen Ansprüchen wird in der Regel 43(2) behandelt. Demnach sind mehrere unabhängige Ansprüche in einer Kategorie nur dann erlaubt, wenn sich der Gegenstand der Anmeldung auf einen der folgenden Sachverhalte bezieht:

a) mehrere miteinander in Beziehung stehende Erzeugnisse,
b) verschiedene Verwendungen eines Erzeugnisses oder einer Vorrichtung,
c) Alternativlösungen für eine bestimmte Aufgabe, sofern es unzweckmäßig ist, diese Alternativen in einem einzigen Anspruch wiederzugeben.​

(a) und (b) fallen raus. Liest man die Ansprüche in Kombination mit der Beschreibung, könnten zwei der vier unabhänigen Ansprüche tatsächlich eine Alternativlösung darstellen. Der erste unabhängige Anspruch und der zweite unabhängige Anspruch beziehen sich bspw. auf dieselbe Vorrichtung. Der zweite unabhängige Anspruch wiederholt alle Merkmale des ersten unabhängigen Anspruchs und hat zusätzlich zwei weitere Merkmale. Einfaches Ändern des zweiten unabhängigen Anspruchs, in dem ich den zweiten unabhängigen Anspruch auf den ersten unabhänigen Anspruch beziehe und die identischen Merkmale rausstreiche, würde den Schutzumfang unzulässig erweitern, weil eine solche Ausführungsform von der Beschreibung nicht umfasst ist. Also würde dieser Ansatz auch herausfallen.

Und jetzt meine Frage: Gibt es in meinem Fall eine geschickte Vorgehensweise, um dem Prüfer das Vorhandensein von einer Alternativlösung zu erklären? Was würdet ihr machen? Einfach auf der Grundlage der Anmeldungsunterlagen argumentieren oder die Ansprüche überarbeiten?

Ich bin gespannt auf eure Antworten.
Danke im Voraus

BG Stat
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Der erste unabhängige Anspruch und der zweite unabhängige Anspruch beziehen sich bspw. auf dieselbe Vorrichtung. Der zweite unabhängige Anspruch wiederholt alle Merkmale des ersten unabhängigen Anspruchs und hat zusätzlich zwei weitere Merkmale. Einfaches Ändern des zweiten unabhängigen Anspruchs, in dem ich den zweiten unabhängigen Anspruch auf den ersten unabhänigen Anspruch beziehe und die identischen Merkmale rausstreiche, würde den Schutzumfang unzulässig erweitern, weil eine solche Ausführungsform von der Beschreibung nicht umfasst ist. Also würde dieser Ansatz auch herausfallen.

Das verstehe ich nicht. Wenn der zweite Anspruch tatsächlich alle Merkmale des ersten enthält, ist es de facto ein abhängiger Anspruch, der nicht als solcher formuliert ist. Damit kann er nicht nur, sondern muss sogar als abhängiger Anspruch zu Anspruch 1 umformuliert werden.

Den Schutzumfang kannst du nicht erweitern (Art. 123(3)), einfach weil es noch keinen gibt. Du hast noch kein Patent, sondern erst eine Patentanmeldung, und die hat keinen Schutzumfang. Und eine unzulässige Erweiterung nach Art. 123(2) ist es auch nicht, weil der zweite unabhängige Anspruch nun mal in der Anmeldung steht (es sei denn, sie wurde ursprünglich ohne Ansprüche eingereicht).

Den Rest der Frage kann ich nicht beantworten, weil nicht klar ist, ob diese zwei Ansprüche die zwei "alternativen Ansprüche" sein sollen oder nicht.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Liest man die Ansprüche in Kombination mit der Beschreibung, könnten zwei der vier unabhänigen Ansprüche tatsächlich eine Alternativlösung darstellen. Der erste unabhängige Anspruch und der zweite unabhängige Anspruch beziehen sich bspw. auf dieselbe Vorrichtung. Der zweite unabhängige Anspruch wiederholt alle Merkmale des ersten unabhängigen Anspruchs und hat zusätzlich zwei weitere Merkmale. Einfaches Ändern des zweiten unabhängigen Anspruchs, in dem ich den zweiten unabhängigen Anspruch auf den ersten unabhänigen Anspruch beziehe und die identischen Merkmale rausstreiche, würde den Schutzumfang unzulässig erweitern, weil eine solche Ausführungsform von der Beschreibung nicht umfasst ist. Also würde dieser Ansatz auch herausfallen.

Hier hat Asdevi meines Erachtens recht. Was oder was nicht ein abhängiger oder unabhängiger Anspruch ist, hat nicht der Prüfer zu entscheiden, sondern ergibt sich aus dem Gesetz, hier aus R 43 (4) EPÜ. Der Prüfer kann verlangen, dass Du den zweiten "unabhängigen" (aufgrund Deiner Beschreibung in der Tat aber eigentlich abhängigen) Anspruch umformulierst und auf Anspruch 1 rückbeziehst. Hiermit erweiterst Du nichts (A123(3) gilt für einen erteilten Schutzbereich, den Du noch nicht hast) und änderst auch nicht unzulässig (A123(2)). Für Ansprüche 1 und 2 ist die Sache damit geklärt.

Was die weiteren Ansprüche angeht, ist es schwierig, weil man hierzu Details wissen müsste. Du kannst natürlich dagegen argumentieren und hoffen, dass die Prüfungsabteilung (wichtig, weil Du noch bei der Rechercheabteilung bist), Deiner Argumentation folgt und eine Aufforderung zur Einschränkung auf den recherchierten Gegenstand nicht ergeht und Du dann alle Ansprüche weiterverfolgen kannst (R 62(a)(2)). Die Chancen hierfür sind aber eher gering, insbesondere weil Recherche und Prüfung ja meist von ein und derselben Person gemacht werden.

Davon abgesehen stellt sich die Frage, ob der Recherchenbericht, den Du erhalten wirst, bei diesen Voraussetzungen nicht ohnehin ein europäischer Teilrecherchenbericht nach Regel 64 EPÜ sein wird, in dem Du bzw. der Mandant zur Zahlung weiterer Recherchengebühren aufgefordert werden wirst. Wenn diese dann bezahlt werden, wird alles recherchiert. Die Rückzahlung kann beantragt werden. Ob Du diese aber erreichen kannst, ist eher fraglich, weil das Amt sich grundsätzlich schwer tut, Geld, das es einmal in den Fingern hat, wieder herzugeben, sofern es nicht wegen einer klaren gesetzlichen und vor allem ermessensfreien Regelung hierzu gezwungen ist. Allerdings hilft Dir das nicht, wenn die Ansprüche tatsächlich uneinheitlich sind und der Prüfer auch später nicht mehrere unabhängige Ansprüche zulässt. Dann kannst Du nur Teilanmeldungen auf Anspruch 3 und/oder Anspruch 4 einreichen und bekommst hier die Recherchengebühren erstattet, weil diese ja schon zur Stammanmeldung gezahlt wurden.

Das Ganze Prozedere rund R 43, R 62(a), R 64 usw. ist ein Krampf und man hat als Anmelder immer schlechte Chancen sich zu wehren, weil gesetzlichen Regelungen dem Amt in diesen Fragen viel Freiheiten lassen, ohne dass es je zu einer echten Diskussion darüber kommt, ob das Amt überhaupt recht hat.

Was Du immer machen kannst, ist die unabhängigen Ansprüche mit Hinweise auf R 43(2)c) "stur verteidigen". Wenn die Anmeldung dann deswegen zurückgewiesen wird, kannst Du in die Beschwerde und Dein Ansinnen weiterverfolgen. Aber das macht realistischerweise niemand.

Fazit: Wenn irgendwie möglich pro Anmeldung eine Erfindung in einem unabhängigen Anspruch dergleichen Kategorie. Aber selbst das hilft nicht immer. Ich habe z.B. gerade eine Anmeldung auf dem Tisch, bei der der erste einzige Anspruch neuheitsschädlich vorweggenommen ist und jetzt wegen Uneinheitlichkeit a posteriori 4 (in Worten: vier) weitere Recherchengebühren verlangt werden (insgesamt also 5). Da machst Du nix ...
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Davon abgesehen stellt sich die Frage, ob der Recherchenbericht, den Du erhalten wirst, bei diesen Voraussetzungen nicht ohnehin ein europäischer Teilrecherchenbericht nach Regel 64 EPÜ sein wird, in dem Du bzw. der Mandant zur Zahlung weiterer Recherchengebühren aufgefordert werden wirst.

Vorsicht! Der TE hat nichts von einem Einheitlichkeitseinwand erwähnt. Wenn der Prüfer die Ansprüche als einheitlich betrachtet, aber einen Verstoß gegen 43(2) sieht, dann gibt es keine Möglichkeit für zusätzliche Recherchegebühren.

Ich gehe in solchen Fällen wie folgt vor: Es wird ein Hauptantrag gestellt, dass alle Ansprüche recherchiert werden sollen. Das begründet man mit irgendeiner der Ausnahmen unter 43(2). Vielleicht klappt's ja.
Außerdem wird in jedem Fall ein Hilfsantrag gestellt, in dem derjenige unabhängige Anspruch genannt ist, der für den Mandanten am wichtigsten ist. Das ist insbesondere unerlässlich, wenn das nicht Anspruch 1 ist.
Man kann dann noch zwischengelagerte Hilfsanträge machen, in denen man sich mehrere, aber nicht alle unabhängigen Ansprüche aussucht, wenn es dafür brauchbare Argumente bzgl. Ausnahme gibt.

Die Ansprüche ändern kann man sowieso nicht (R. 137(1)).
 

Fip

*** KT-HERO ***
Vorsicht! Der TE hat nichts von einem Einheitlichkeitseinwand erwähnt. Wenn der Prüfer die Ansprüche als einheitlich betrachtet, aber einen Verstoß gegen 43(2) sieht, dann gibt es keine Möglichkeit für zusätzliche Recherchegebühren.

Schon klar, deshalb hatte ich ja auch gesagt "es stellt sich die Frage, ob ...". Es erklärt sich doch von selbst, dass das nicht erwähnt wurde, weil es ja um eine R62(a) Mitteilung geht, die ja ohnehin vor (sehr selten mal gleichzeitig mit) einer R64 Mitteilung kommt, so dass die R43 Beanstandung ohnehin (fast immer) zu bearbeiten ist, bevor man weiß, ob eine R64 Mitteilung überhaupt foglen wird.

Insbesondere lässt es sich zu einem gewissen Grad ganz gut einschätzen, ob man noch mit einer R64 Mitteilung rechnen kann bzw. muss, wenn man die Ansprüche kennt, um die es geht. Eine solche Mitteilung kann man im Übrigen auch zu einem gewissen Grad mit der Antwort auf dei R62(a) Mitteilung provozieren. Daher ist die Möglichkeit, dass noch ein Teilrecherchenbericht folgen kann, auch bei der Beanworung der R62(a) Mitteilung je nach Strategie, die man verflogt, wichtig zu wissen.

Aber warum "Vorsicht!" in diesem Zusammenhang? Das habe ich nicht verstanden.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Aber warum "Vorsicht!" in diesem Zusammenhang? Das habe ich nicht verstanden.

Weil man nicht darauf vertrauen sollte, dass man noch eine Möglichkeit zur Nachrecherche bekommt. Man muss damit rechnen, dass im schlimmsten Fall nur ein unabhängiger Anspruch recherchiert wird, und sollte Sorge tragen, dass es wenigstens der richtige ist. Sonst kann man gleich mit der Teilanmeldung anfangen.
 
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