Neuheitsschädliche Offenbarung mittels Anspruchsrückbezug

Kurt

*** KT-HERO ***
Hi Forum,

angenommen eine Patentanmeldung P beansprucht einen Gegenstand mit den Merkmalen ABC.

Derselbe Gegenstand ABC kann jedoch auch einer früher veröffentlichten Patentschrift D entnommen werden, allerdings nicht ausdrücklich an einer einzigen, zusammenhängenden Stelle der Beschreibung, und auch nicht aus einer einzigen Figur.

Vielmehr ergibt sich der Gegenstand ABC in Patentschrift D aus den Patentansprüchen wie folgt:

Patentschrift D:
Anspruch 1: Merkmal A
Anspruch 2, rückbezogen auf Anspruch 1: Merkmal B
Anspruch 3, rückbezogen auf Anspruch 2 oder 1: Merkmal C

Somit offenbart Patentanspruch 3 (rückbezogen auf Patentanspruch 2, wiederum rückbezogen auf Anspruch 1) aus Patentschrift D den Gegenstand mit den Merkmalen ABC neuheitsschädlich (und nicht etwa nur hinsichtlich Erfindungshöhe) gegenüber Patentanmeldung P -- richtig?

Grüße
Kurt
 
Zuletzt bearbeitet:

philkopter

GOLD - Mitglied
ja das ist so richtig.

Zur Erklärung noch, da mein erstes Statement vielleicht etwas sehr knapp war: Per Definition enthält ein abhängiger Anspruch alle Merkmale des Anspruchs von dem er abhängt. Anspruch 2 in deinem Beispiel enthält also Merkmale AB. Anspruch 3 ist von Anspruch 2 abhängig und enthält somit Merkmale ABC.
 
Zuletzt bearbeitet:

SwissPatEng

SILBER - Mitglied
Kurt, ich gebe dir hier jetzt mal ungefragt einen Rat:

Denk doch bei Gelegenheit einmal aussführlich darüber nach, was du für einen Betreuer (für die PA-Ausblidung, falls du diese machst) hast und ob PA wirklich "dein Ding" ist. Gemäss deinem Profil bist du seit 2006 in diesem Forum registriert. Das sind über 8 Jahre. Du stellst hier eine Frage, was neu gegenüber dem Stand der Technik ist. Es geht mir nicht darum deine Frage schlecht zu machen. Die Frage ist ok und soll auch einen Platz in so einem Forum haben. Nur solltest du dich eben (aus meiner Sicht) fragen, ob es richtig ist, dass du nach über 8 Jahren im Patentgeschäft für elementare Fragen zum Neuheitsbegriff noch auf dieses Forum angewiesen bist.

Das ist nicht gegen dich persönlich gerichtet, vielleicht ist ja Patentrecht nur ein Hobby von dir und du stellst hier einfach Fragen aus purer Neugier (was ok wäre, ist ja schliesslich ein Forum). Aber falls du ernsthaft eine Karriere als PA anstrebst würde ich eine Standortbestimmung empfehlen.
 
Zuletzt bearbeitet:

pak

*** KT-HERO ***
Hallo SwissPatEng,

man trifft ja häufig auf Entgegenhaltungen, in denen mehrere Ausführungsformen voneinander separat mit Bezug áuf entsprechende Figuren beschrieben sind. Hier findet sich in der Beschreibung der einen Ausführungsform auch manchmal der Hinweis, dass die Merkmale dieser Ausführungsform auch in einer der vorangehend beschriebenen Ausführungsformen vorgesehen werden können. Bei einer derart naheliegenden Kombination landet man jedoch in der Regel bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit, nicht bei der Neuheit.

Insofern finde ich Kurts Frage, wie es sich bei aufeinander zurückbezogene Ansprüche einer Entgegenhaltung verhält, durchaus angebracht, zumal der Fachmann die entsprechende Anspruchskombination ja erst einmal vornehmen muss. Ich gehe aber auch von einer Neuheitsschädlichkeit aus, da mit den aufeinander zurückbezogenen Ansprüchen doch eine recht klar vorgegebene Kombination der entsprechenden Merkmale offenbart wird.

Gruß

pak
 

Lurchi

SILBER - Mitglied
Im Normalfall gehe ich auch von einer Neuheitsschädlichkeit aus. Ganz so eindeutig ist das aber zum Beispiel in folgendem Fall nicht:

1. Vorrichtung mit Merkmalen A, B, C
2. Vorrichtung nach Anspruch 1, ferner umfassend...
.
.
.
25. Vorrichtung nach einem der vorherigen Ansprüche, ferner umfassend Merkmal O.
.
.
.
51. Vorrichtung nach einem der vorherigen Ansprüche, ferner umfassend Merkmal P.
.
.
.
158. Vorrichtung nach einem der vorherigen Ansprüche, ferner umfassend Merkmal Q.

Ob da dann jetzt eine Vorrichtung mit den Merkmalen A, B, C, O, P und Q neuheitsschädlich offenbart ist, wage ich zu bezweifeln.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
1. Vorrichtung mit Merkmalen A, B, C
[...]
25. Vorrichtung nach einem der vorherigen Ansprüche, ferner umfassend Merkmal O.
[...]
51. Vorrichtung nach einem der vorherigen Ansprüche, ferner umfassend Merkmal P.
[...]
158. Vorrichtung nach einem der vorherigen Ansprüche, ferner umfassend Merkmal Q.

Ob da dann jetzt eine Vorrichtung mit den Merkmalen A, B, C, O, P und Q neuheitsschädlich offenbart ist, wage ich zu bezweifeln.

Ich halte das sogar für eine sehr eindeutige Offenbarung dieser Merkmalskombination. Wenn Du das bezweifelst, solltest Du das schon begründen. Und selbst wenn durch die nicht dargestellten Ansprüche viele weitere Merkmale hinzugefügt würden, etwa beim Rückbezug jedes Anspruchs nur auf seinen vorhergehenden, ist die Kombination ABCOPQ dennoch neuheitsschädlich offenbart.
 

Lurchi

SILBER - Mitglied
Bei dem von mir erwähnten Beispiel kann man meiner Meinung nach analog zu T 401/94 und T 12/81 argumentieren. Bei diesen beiden Entscheidungen geht es darum, dass eine Kombination zweier Stoffe aus zwei aus dem Stand der Technik bekannten Listen, als neu gelten kann.

Es handelt sich bei meinem Beispiel zwar nicht um zwei Listen, aus denen etwas auszuwählen ist. Die Anzahl der möglichen Kombinationen ist jedoch ähnlich hoch, sodass man hier zumindest über "Neuheit durch Auswahl" nachdenken könnte.
 

philkopter

GOLD - Mitglied
Also es gibt am EPA das Zwei-Listen-Prinzip, d.h. ein Stoff ist neu gegenüber dem Stand der Technik, wenn man im SdT Dokument aus mindestens zwei Listen auswählen muss um zum beanspruchten Gegenstand zu kommen. Das spielt eine große Rolle in Markush-Ansprüchen in der Chemie, aber auch in anderen Gebieten, zB:

1. Produkt A

2. Produkt nach Anspruch 1, umfassend ein weiteres Merkmal ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus B, C, D und E.

3. Produkt nach Anspruch 1, umfassend ein weiteres Merkmal ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus F, G, H und I.

Dann wäre ein Produkt A, C, G neu gegenüber diesem SdT, da ACG nicht eindeutig und unmittelbar offenbart ist.

Diskutiert wird in der Rechtsprechung wie lang eine Liste sein muss um eine Liste zu sein und ob in Ansprüchen offenbarte Merkmale nicht ohnehin eindeutig und unmittelbar offenbart sind. Unstreitig sind hingegen Offenbarungen in der Beschreibung, in der grade in der Chemie und in den Life-Sciences oftmals seitenlange Listen mit Krankheiten, Substituenten usw offenbart werden. Aus einer solchen Liste kann übrigens auch unter 123(2) nicht ausgewählt werden, was dann wiederum gleichbedeutend mit einer nicht-neuheitsschädlichen Offenbarung für zukünftige Ansprüche ist.

Im Beispiel von Kurt ging es aber nicht um Listen sondern um individuell offenbarte Merkmale in Unteransprüchen.
 

Lurchi

SILBER - Mitglied
1. Produkt A

2. Produkt nach Anspruch 1, umfassend ein weiteres Merkmal ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus B, C, D und E.

3. Produkt nach Anspruch 1, umfassend ein weiteres Merkmal ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus F, G, H und I.

Dann wäre ein Produkt A, C, G neu gegenüber diesem SdT, da ACG nicht eindeutig und unmittelbar offenbart ist.
Das ist doch nur eine andere Schreibweise für:
1. Produkt A

2. Produkt nach Anspruch 1, umfassend Merkmal B.

3. Produkt nach Anspruch 1, umfassend Merkmal C.

4. Produkt nach Anspruch 1, umfassend Merkmal D.

5. Produkt nach Anspruch 1, umfassend Merkmal E.
[...]
usw.
 

philkopter

GOLD - Mitglied
Nein, denn nach deiner Schreibweise sind AB, AC, AD und AE jeweils individuell und somit eindeutig und unmittelbar offenbart. Die weitere Kombination zu ABC wäre dann eine Auswahl aus einer Liste, nämlich im zweiten Schritt der Liste aus abhängigen Ansprüchen.
 

grond

*** KT-HERO ***
Die Frage ist tatsächlich komplexer als sie auf den ersten Blick erscheint:

1. Legierung mit Element A im Bereich von 5...15 Gewichtsprozent.

2. Legierung nach Anspruch 1 mit außerdem Element B im Bereich von 5...15 Gewichtsprozent.

3. Legierung nach 2, bei dem B im Bereich von 8...12 Gewichtsprozent enthalten ist.

4. Legierung nach einem der vorhergehenden Ansprüche mit Element C im Bereich 5...15 Gewichtsprozent.

5. Legierung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, bei dem A im Bereich von 7...11 Gewichtsprozent enthalten ist.

Frage: ist jetzt eine Legierung mit A = 7...11, B = 8...12 und C = 5...15 neuheitsschädlich offenbart?

Angesichts mannigfaltiger Synergieeffekte zwischen verschiedenen Merkmalen ist nicht jede rechnerisch mögliche Kombination von Unteranspruchsmerkmalen automatisch auch ursprünglich offenbart. Wäre dem so, könnte ich angesichts der begrenzten Anzahl von Elementen mit einer einzigen Anmeldung (mit utopischen Anspruchsgebühren) jede mögliche Legierung ausreichend genau beanspruchen und nachträglich über eine geeignete Kombination von Ansprüchen als ursprünglich offenbart ansehen.

So wird der Stand der Technik durch die Prüfungs- und Einspruchsabteilungen aber gerade nicht bewertet. Wir wollen mal voraussetzen, dass die ihre Arbeit richtig machen. Nebenbei bemerkt, für Art. 123 und 54 EPÜ müssen dieselben Maßstäbe gelten.
 

SwissPatEng

SILBER - Mitglied
Frage: ist jetzt eine Legierung mit A = 7...11, B = 8...12 und C = 5...15 neuheitsschädlich offenbart?

Da es sich dabei um eine Auswahlerfindung handelt hilft ein Blick in die RiLi für die Prüfung beim EPA (G-VI, 8. ii) ): Es müssen 3 Kriterien erfüllt sein:
- Der ausgewählte Teilbereich ist im Vergleich zu dem bekannten Bereich eng,
- der ausgewählte Teilbereich hat genügend Abstand von konkreten im Stand der Technik offenbarten Beispielen und von den Eckwerten des bekannten Bereichs und
- der ausgewählte Bereich ist kein willkürlicher Ausschnitt des Stands der Technik, d. h. keine bloße Ausführungsform des Stands der Technik, sondern eine andere Erfindung (gezielte Auswahl, neue technische Lehre)

Aber deine Frage hat nur noch bedingt etwas mit der ursprünglichen Frage in diesem Thread zu tun.
 

grond

*** KT-HERO ***
Da es sich dabei um eine Auswahlerfindung handelt hilft ein Blick in die RiLi für die Prüfung beim EPA (G-VI, 8. ii) ):

Danke, ist bekannt.


Aber deine Frage hat nur noch bedingt etwas mit der ursprünglichen Frage in diesem Thread zu tun.

Findest Du? Es geht doch gerade um die Frage, ob eine Merkmalskombination durch willkürliche Kombination von Unteransprüchen als neuheitsschädlich offenbart anzusehen ist oder nicht. Die konkreten Ausführungsbeispiele hatten ja gerade nicht alle Merkmale gemeinsam offenbart, die Kombination ergab sich allein durch eine Permutation der Unteransprüche aufgrund von deren allgemein gehaltenen Rückbezügen. Spätestens da, wo sich im SdT nicht beschriebene Synergieeffekte zwischen den in der Beschreibung nur in getrennten Ausführungsbeispielen offenbarten Merkmalen ergeben, sähe ich es sehr kritisch, wenn die rein rechnerisch mögliche Kombination von Unteransprüchen tatsächlich als Grundlage eines Neuheitseinwandes mit einem 54(3)-Dokument herhalten sollte.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Frage: ist jetzt eine Legierung mit A = 7...11, B = 8...12 und C = 5...15 neuheitsschädlich offenbart?
Ich würde sagen nein, da ich einmal die Abhängigkeit von Anspruch 4 für Anspruch 5, und dann nochmal die von Anspruch 3 für Anspruch 4 auswählen muss.

Also Auswahl aus zwei Listen.
 
Zuletzt bearbeitet:

SwissPatEng

SILBER - Mitglied
Ich hatte die ursprüngliche Frage so verstanden, dass Karl wissen wollte, ob man abhängige Ansprüche mit dem Hauptanspruch zusammen als "in einem Satz" geschrieben lesen sollte oder nicht.

Es geht doch gerade um die Frage, ob eine Merkmalskombination durch willkürliche Kombination von Unteransprüchen als neuheitsschädlich offenbart anzusehen ist oder nicht. Die konkreten Ausführungsbeispiele hatten ja gerade nicht alle Merkmale gemeinsam offenbart, die Kombination ergab sich allein durch eine Permutation der Unteransprüche aufgrund von deren allgemein gehaltenen Rückbezügen. Spätestens da, wo sich im SdT nicht beschriebene Synergieeffekte zwischen den in der Beschreibung nur in getrennten Ausführungsbeispielen offenbarten Merkmalen ergeben, sähe ich es sehr kritisch, wenn die rein rechnerisch mögliche Kombination von Unteransprüchen tatsächlich als Grundlage eines Neuheitseinwandes mit einem 54(3)-Dokument herhalten sollte.

Absolut einverstanden, dann sind wir aber eben bei einer Auswahlerfindung und die war meiner Meinung nach nicht Gegenstand der ursprünglichen Frage.
Wenn nur eine wie du sagst "willkürliche" (!) Kombination der Unteransprüche die Erfindung beschreiben würde so könnte es sich übrigens auch um eine zufällige Offenbarung handeln, welche dann eben doch nicht neuheitsschädlich wäre.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Absolut einverstanden, dann sind wir aber eben bei einer Auswahlerfindung und die war meiner Meinung nach nicht Gegenstand der ursprünglichen Frage.
Den Aspekt der Auswahlerfindung solltest du mal ignorieren. Natürlich kann man überlegen, ob der Bereich 5-15 für den Bereich 7-11 per se schon neuheitsschädlich ist, weil 7-11 die Auswahlkriterien nicht erfüllt. Darum geht es hier aber nicht.

Geh mal davon aus, dass 7-11 und 8-12 valide Auswahlbereiche mit richtiger Größe und technischem Effekt und bla bla bla sind. Dennoch sind diese Bereiche in den Unteransprüchen explizit genannt. Die Frage ist also, ob der durch Grond skizzierten Anspruchsstruktur die Abhängigkeitskette 5->4->3->1 einedeutig und unmittelbar entnommen werden kann.

Ich würde sagen nein.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Ich würde sagen nein, da ich einmal die Abhängigkeit von Anspruch 4 für Anspruch 5, und dann nochmal die von Anspruch 3 für Anspruch 4 auswählen muss.

Also Auswahl aus zwei Listen.

Das ist aber meiner Ansicht nach keine Auswahl aus Listen, sondern ganz simpel die Kombination der Ansprüche 1 bis 5 (genauer: die Offenbarung des Anspruchs 5 bei Rückbezug auf 4, 3, 2, 1) die letzlich explizit die Werte nennen.

Hier sind die Chemiker sicher besser informiert, aber für mich hiesse "Auswahl aus Listen" bei Gronds Beispiel etwa "Legierung mit Element A zu 10 Gewichtsprozent, Element B zu 10 Gewichtsprozent und Element C zu 10 Gewichtsprozent". Diese Werte sind in den offenbarten Bereichen zwar enthalten, aber insbesondere in der konkreten Kombination nicht explizit genannt.

Da könnte man vermutlich über Neuheit diskutieren, aber doch wohl kaum bei expliziter Offenbarung der exakten Wertekombination wie im Ursprungsbeispiel.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Ich sehe keinen Grund, das anders als eine Auswahl aus Listen zu betrachten.

Angenommen ich habe einen schönen PCT-Anspruchssatz mit 1 unabhängigen und 999 abhängigen Ansprüchen, alle der Marke "Die Legierung aus irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, wobei...", als Stand der Technik.

Die Kombination der Merkmale von 1, 323, 324, 564, 600, 792, 812, 873 und 998 führt zu einer Offenbarung der Erfindung, die du gerade patentiert haben willst. Ich weiß nicht wie du das siehst, aber einem Prüfer, der mir das als neuheitsschädlich, weil "offensichtlich und unmittelbar" dem PCT-Anspruchssatz zu entnehmen, zitiert, würde ich den Vogel zeigen.
 
Oben