Rücknahmefiktion undArt. 66 EPÜ

Asdevi

*** KT-HERO ***
Liebe Kollegen,

Ich habe eine Frage zur Rücknahmefiktion nach §40 V PatG.

Diese wird ja prinzipiell auch angewendet, wenn die Nachanmeldung eine internationale Anmeldung ist, mit der Bergündung, dass Art. 11(3) PCT bestimmt, die internationale Anmeldung stehe in ihren Wirkungen einer nationalen Anmeldung gleich. Soweit so gut.

Allerdings bestimmt auch Art. 66 EPÜ, dass eine europäische Anmeldung in jedem Vertragsstaat dieselben Wirkungen wie eine nationale hat. Wenn das so ist, warum gilt dann eine deutsche Anmeldung nicht als zurückgenommen, wenn ihre Priorität von einer europäischen beansprucht wird?

Oder anders: Was ist die Rechtsgrundlage für die unterschiedlichen Wirkungen einer internationalen und einer europäischen Nachanmeldung, wenn die gesetzlichen Bestimmungen quasi wortgleich formuliert sind?
 

pak

*** KT-HERO ***
Ich habe eine Frage zur Rücknahmefiktion nach §40 V PatG.

Diese wird ja prinzipiell auch angewendet, wenn die Nachanmeldung eine internationale Anmeldung ist, mit der Bergündung, dass Art. 11(3) PCT bestimmt, die internationale Anmeldung stehe in ihren Wirkungen einer nationalen Anmeldung gleich. Soweit so gut.

Allerdings bestimmt auch Art. 66 EPÜ, dass eine europäische Anmeldung in jedem Vertragsstaat dieselben Wirkungen wie eine nationale hat. Wenn das so ist, warum gilt dann eine deutsche Anmeldung nicht als zurückgenommen, wenn ihre Priorität von einer europäischen beansprucht wird?

Oder anders: Was ist die Rechtsgrundlage für die unterschiedlichen Wirkungen einer internationalen und einer europäischen Nachanmeldung, wenn die gesetzlichen Bestimmungen quasi wortgleich formuliert sind?

Hallo Asdevi,

ja, ist interessant, zumal tatsächlich der gleiche Wortlaut vorliegt. Vielleicht gilt grundsätzlich, dass eine "beim Patentamt eingereichte frühere Patent- oder Gebrauchsmusteranmeldung" (§40 V PatG) mit einer "Wirkung einer vorschriftsmäßigen nationalen Anmeldung" (Art. 66 EPÜ oder Art. 11(3) PCT) gleichzusetzen ist, wobei für das EPÜ im Gegensatz zum PCT die deutsche Sonderregelung des §8 IntPatÜbkG (lex specialis) besteht. Ist wohl auch der Grund dafür, dass man im PCT Anmeldeformular DE ausschließen und somit die Rücknahmefiktion vermeiden kann, um über den Weg PCT -> EPÜ -> DE doch noch nach Deutschland zu kommen, ohne dass die Prioanmeldung als zurückgenommen gilt. Nur eine Vermutung ...

Gruß

pak
 
Zuletzt bearbeitet:

Asdevi

*** KT-HERO ***
wobei für das EPÜ im Gegensatz zum PCT die deutsche Sonderregelung des §8 IntPatÜbkG (lex specialis) besteht.

Daran habe ich auch schon gedacht, ob man aus Art. II §8 IntPatÜG quasi ableiten könnte, dass eine Koexistenz der beiden Anmeldungen möglich sein muss. Kann man aber nicht, da §8 lediglich von "prioritätsgleichen" Anmeldungen sprich. Denkbar wären also auch eine deutsche und eine europäische Anmeldung, die beide die Prio derselben deutschen Voranmeldung beanspruchen. Aus dieser Regelung geht daher nicht hervor, dass die Wirkung des Art. 66 nicht auf §40 V angewendet werden kann.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Oder anders: Was ist die Rechtsgrundlage für die unterschiedlichen Wirkungen einer internationalen und einer europäischen Nachanmeldung, wenn die gesetzlichen Bestimmungen quasi wortgleich formuliert sind?

Der Unterschied steht in § 40 Abs. 1 PatG: "einer beim Patentamt eingereichten früheren Patent- oder Gebrauchsmusteranmeldung". Das ist ja für eine europäische Patentanmeldung gerade nicht der Fall.

Bei Mes, PatG/GebrMG, § 40 PatG Rn 9, heißt es deshalb: "Prioritätsbegründend kann nur eine beim Deutschen Patentamt eingereichte frühere Patent- oder Gebrauchsmuster- (auch Gebrauchsmusterhilfs-)Anmeldung sein (§ 40 Abs. 1); auch eine gemäß Art. 135 EPÜ i. V. m. Art. II § 9 IntPatÜG in eine deutsche Anmeldung umgewandelte europäische Patentanmeldung (BGH GRUR 1982, 31 – Roll- und Wippbrett). " (Die BGH Entscheidung ist dann auch ganz interessant in diesem Zusammenhang.)

Demggü. ergibt sich z.B. aus Artt. 20, 23 PCT ganz klar, dass die internationale Anmeldung beim Bestimmungsamt als dort anhängige (und damit nach Sinn und Zweck auch also dort eingereichte) Anmeldung zu betrachten ist.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Der Unterschied steht in § 40 Abs. 1 PatG: "einer beim Patentamt eingereichten früheren Patent- oder Gebrauchsmusteranmeldung".

Beim erneuten Lesen ist mir gerade aufgefallen, dass insbesondere das Wort "früheren" für manchen verwirrend sein könnte. Deshalb hake ich hier lieber gleich noch einmal nach.

Offensichtlich kann also eine europäische Patentanmeldung keine innere Priorität nach dem PatG begründen.

Sie kann aber auch keine innere Priorität nach dem PatG beanspruchen. Das lässt sich auf viele Weise nachweisen. Die einfachste Begründung scheint mir jedoch zu sein, dass Art. 87 ff. EPÜ das Prioritätsrecht für europäische Patentanmeldungen abschließend regeln (und dass das EPÜ als für Deutschland geltender völkerrechtlicher Vertrag im Rang über dem PatG steht), und das Prioritätsrecht nach § 40 Abs. 1 PatG im Widerspruch zum EPÜ stünde, wenn man es auf europäische Patentanmeldungen anwenden könnte (siehe z.B. "... es sei denn ...").

Die internationale Anmeldung umfasst aber zunächst einmal auch eine beim DPMA eingereichte und dort anhängige deutsche Patentanmeldung als auch eine beim EPA eingereichte und dort anhängige europäische Patentanmeldung (Art. 3 Abs. 1 PCT, Art. 4 Abs. 1 (ii) PCT). Für diese deutsche Patentanmeldung ist dann jedoch § 40 Abs. 1 PatG anwendbar und in der Folge auch § 40 Abs. 5 PatG.

Im übrigen heisst es in Art. 66 EPÜ nur: "Wirkung einer vorschriftsmässigen nationalen Anmeldung". Damit wird doch primär nur die Voraussetzung für die Priorität nach der PVÜ fingiert, als auch die Voraussetzung für die Umwandlung in eine nationale Anmeldung nach Art. 135 ff. EPÜ geschaffen.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Sie kann aber auch keine innere Priorität nach dem PatG beanspruchen. Das lässt sich auf viele Weise nachweisen. Die einfachste Begründung scheint mir jedoch zu sein, dass Art. 87 ff. EPÜ das Prioritätsrecht für europäische Patentanmeldungen abschließend regeln (und dass das EPÜ als für Deutschland geltender völkerrechtlicher Vertrag im Rang über dem PatG steht), und das Prioritätsrecht nach § 40 Abs. 1 PatG im Widerspruch zum EPÜ stünde, wenn man es auf europäische Patentanmeldungen anwenden könnte (siehe z.B. "... es sei denn ...").

Die internationale Anmeldung umfasst aber zunächst einmal auch eine beim DPMA eingereichte und dort anhängige deutsche Patentanmeldung als auch eine beim EPA eingereichte und dort anhängige europäische Patentanmeldung (Art. 3 Abs. 1 PCT, Art. 4 Abs. 1 (ii) PCT). Für diese deutsche Patentanmeldung ist dann jedoch § 40 Abs. 1 PatG anwendbar und in der Folge auch § 40 Abs. 5 PatG.

Im übrigen heisst es in Art. 66 EPÜ nur: "Wirkung einer vorschriftsmässigen nationalen Anmeldung". Damit wird doch primär nur die Voraussetzung für die Priorität nach der PVÜ fingiert, als auch die Voraussetzung für die Umwandlung in eine nationale Anmeldung nach Art. 135 ff. EPÜ geschaffen.

Sorry, aber diesem ganzen Gedankengang kann ich nicht einmal ansatzweise folgen.

Die Situation ist: Eine beim DPMA eingereichte deutsche Anmeldung ist anhängig. Nun reicht der Anmelder eine Nachanmeldung ein, mit der er die Prio dieser ersten Anmeldung beansprucht, und zwar

a) eine internationale Anmeldung; oder
b) eine europäische Anmeldung.

Folge: Im Fall a) gilt die erste deutsche Anmeldung als zurückgenommen, angeblich wegen Art 11(3) PCT. Der Eintritt der Fiktion wird durch das IntPatÜG bis zum Eintritt in die nationale Phase vertagt, aber prinzipiell wird die int. Anmeldung als deutsche behandelt.

Im Fall b) bleibt die deutsche Erstanmeldung fröhlich anhängig, trotz Art. 66 EPÜ, der übrigens ebenso von "Wirkung" spricht, wie Art. 11(3) PCT.

Wenn es also in Fall a) zu den "Wirkungen" gehört, die Prioritätsanmeldung untergehen zu lassen, warum dann nicht in Fall b?
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Sorry, aber diesem ganzen Gedankengang kann ich nicht einmal ansatzweise folgen.

OK, ich versuche, den Abstraktionsgrad zu erhöhen, um das leichter verdaulich zu machen.

Folge: Im Fall a) gilt die erste deutsche Anmeldung als zurückgenommen, angeblich wegen Art 11(3) PCT. Der Eintritt der Fiktion wird durch das IntPatÜG bis zum Eintritt in die nationale Phase vertagt, aber prinzipiell wird die int. Anmeldung als deutsche behandelt.

Das ist ja auch Sinn und Zweck des PCT-Verfahrens: Mit einer einzigen Verfahrenshandlung soll eine Anmeldung gleichzeitig in einer Vielzahl von Ländern eingereicht werden.

Allein aus Art. 11(3) PCT folgt dies eben noch nicht, sondern daraus, dass nach weiteren Regelungen im PCT irgendwann die Anmeldung vom DPMA als deutsche Anmeldung geprüft wird. Das Erteilungsverfahren am DPMA unterliegt aber dem PatG und damit ist dann auch § 40 Abs. 1 PatG anzuwenden.

Im Fall b) bleibt die deutsche Erstanmeldung fröhlich anhängig, trotz Art. 66 EPÜ, der übrigens ebenso von "Wirkung" spricht, wie Art. 11(3) PCT.

Weil es nicht zu den Wirkungen gehört, ein Erteilungsverfahren für ein deutsches Patent beim DPMA anhängig werden zu lassen, sondern nur die Voraussetzung dafür schafft, dass das überhaupt möglich wird. Dafür bedarf es aber eben erst der Umwandlung in eine nationale deutsche Patentanmeldung. Man vergleiche dies z.B. mit Art. 2 (2) EPÜ, wo für das europäische Patent sämtliche Vorschriften wie für ein nationales Patent anwendbar gemacht werden. Genau das ist für die Anmeldung eben nicht der Fall.

§ 40 Abs. 1 PatG ist nur für deutsche Patentanmeldungen anwendbar. § 40 Abs. 5 PatG ist aber nur dann anwendbar, wenn die innere Priorität nach § 40 Abs. 1 PatG zur Anwendung kommt. Das ist aber für den Fall a) klar gegeben, da die Prioritätsanmeldung eine beim DPMA eingereichte Patentanmeldung ist.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Die Rechtsfolgen im Falle der inneren Priorität sind in den Gesetzen doch für alle Fälle der inneren Priorität recht klar geregelt.


Für eine DE Nachanmeldung gilt § 40 (5) PatG
Für ein in DE validiertes EP-Patent gilt Art. II § 8 IntPatÜG
Für eine in die nationale Phase DE eintretende WO-Anmeldung gilt Art. III § 4 (4) IntPatÜG


Man kann natürlich diskutieren, warum das Gesetz verschiedene Ansätze hat und warum es einmal ein Unwirksamkeit im Rahmen der Schutzbereichsüberschneidung gibt und einmal eine "harte" Rücknahmefiktion. Aber die Rechtsfolgen sind doch recht eindeutig im Gesetz definiert, oder nicht?


Man sollte außerdem beachten, dass § 40 PatG nur in Fällen greift, in denen es ohne diese Vorschrift beim DPMA zwei parallel anhängige Anmeldungen für dieselbe Erfindung gäbe. Es geht nicht um den Verbot des Doppelschutzes, sondern um die Vermeidung einer Doppelanhängigkeit. Abgesehen von der Möglichkeit der Umwandlung wird eine EP-Anmeldung aber nie beim DPMA anhängig. Und bei der Umwandlung dürfte § 40 PatG ja wieder voll "zuschlagen".
 
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