Nachveröffentlichter Stand der Technik

grond

*** KT-HERO ***
Ich denke gerade über die Berücksichtigung des nachveröffentlichten SdT nach Art. 54(3) EPÜ allein unter dem Gesichtspunkt der Neuheit nach. Mir scheint das eine teilweise etwas ungerechte Regelung zu sein.

Es wird zumindest unter Patentrechtlern allgemein als gerecht angesehen, dass von zwei Erfindern, die dieselbe Erfindung unabhängig, aber mit zeitlichem Abstand voneinander gemacht haben, nur der erste Erfinder ein Patent bekommt. Ungerecht erscheint mir nun, dass im 54(3)-Szenario ein einziges zusätzliches Merkmal genügt, um dem ersten Erfinder doch noch einen Großteil seines Kuchens wegzunehmen. Wenn dieses Merkmal z.B. eine typische Dimensionierung des Erfindungsgegenstandes darstellt, welche, weil nicht erfindungswesentlich, nicht in der ersten Anmeldung offenbart war, kann der erste Erfinder sogar den wirtschaftlich interessantesten Teil seines Patentes "verlieren", weil er für diesen Bereich eine Lizenz vom zweiten Erfinder bräuchte (der natürlich auch vom ersten Erfinder).

In den USA werden nachveröffentlichte Patentschriften eiskalt zum normalen SdT gezählt und demzufolge auch im Rahmen von "Obviousness"-Argumentationen verwendet. Das kann nun offensichtlich ungerecht sein, weil so ein SdT verwendet werden kann, der einem Erfinder tatsächlich nicht bekannt sein konnte, in dessen Kenntnis eine Erfindung aber eventuell naheliegend erschienen wäre.

Insofern haben beide Reglungen ihren Nachteil. Wäre es nicht am gerechtesten, wenn der nachveröffentlichte SdT doch im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden könnte, aber nur in Kombination mit dem Grundwissen des Fachmanns am Priotag der jüngeren Anmeldung? Auf diese Weise könnte dem nachveröffentlichten SdT eine größere Wirkung auf jüngere Anmeldungen eingeräumt werden. Außerdem würde es dem an Geheimhaltung interessierten Anmelder ersparen, möglichst viele prinzipiell uninteressante Details in die Anmeldung aufzunehmen, um eine möglichst große Zerstörkraft als 54(3)-Dokument zu entfalten.

Als Gegenargument zu einem solchen Gedanken wäre zu bedenken, dass der erste Erfinder seinen Vorsprung ja auch aufgeben und die Anmeldung vorzeitig offenlegen könnte.
 
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