Fehler gemacht?

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

zur Abwechslung :) mal wieder ein hypothetischer Fall:

Beauftragung durch den Mandanten mit der Überarbeitung und Einreichung einer von diesem vorverfassten Patentanmeldung und mit der Vertretung vor dem DPMA.
Entsprechende Überarbeitung der Anmeldung und Einreichung der DE1.
Danach nochmals leichte Überarbeitung, Hinzufügung weiterer Beispiele, Anmeldung der PCT1.

Während PCT Chapter I lläuft, parallel Ausarbeitung und Einreichung neuer Ansprüche im DE Verfahren als Reaktion auf Prüfungsbescheid DPMA.

In Chapter II der PCT1 Beschränkung der recht breiten PCT-Ansprüche auf die aktuellen Ansprüche der DE1.
Positiver IPER und Einleitung der europäischen Phase.
Irgendwann dann Erteilung EP1 ohne dass ein negativer Bescheid von Seiten des EPA ergangen wäre.

Zwischen Einleitung und Erteilung EP1 ergeht allerdings ein Prüfbescheid zur DE1, in dem mangelnde Offenbarung beanstandet wird.

Wegen laufendem Erteilungsverfahren der EP1 wird mehrfach Fristverlängerung für die DE1 beantragt. Nach Erteilung der EP1 wird die DE1 fallen gelassen (Fristablauf).

Angenommen es käme nun zur Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil der EP1 wegen fehlender Neuheit gegenüber DE1 und Unwirksamkeit der beanspruchten Priorität aufgrund fehlender Offenbarung aller erteilten Merkmale in der Prioritätsanmeldung.

Müsste man sich hier einen Fehler vorwerfen lassen?
Hätte man spätestens nach Erhalt und Prüfung des Prüfbescheides zur DE1 den Mandanten bezüglich einer möglicherweise drohenden Unwirksamkeit des Prioritätsanspruchs und einer infolgedessen möglichen neuheitsschädlichen Vorwegnahme der in der EP1 beanspruchten Erfindung durch die DE1 warnen müssen?

Gruß
Gerd
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Angenommen es käme nun zur Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil der EP1 wegen fehlender Neuheit gegenüber DE1 und Unwirksamkeit der beanspruchten Priorität aufgrund fehlender Offenbarung aller erteilten Merkmale in der Prioritätsanmeldung.
Ich würde sagen, dieser Angriff scheitert.

Wenn DE1 nicht ausreichend offenbart ist, kann es auch nicht neuheitsschädlich für EP1 sein, weil es ja den Gegenstand von EP1 nicht ausführbar offenbart.

Wenn doch etwas in DE1 ausreichend offenbart ist, kann EP1 darauf eingeschränkt werden, hätte dann die Prio, und DE1 wäre irrelevant.
 

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

EP1 könnte durch das in DE1 nicht offenbarte Merkmal enger sein, als sie wäre, wenn man das Merkmal nicht verwendet. Eine Streichung wäre eine unzulässige Erweiterung des Schutzanspruchs.

Die Frage ist dann natürlich, inwieweit DE1 die engeren Ansprüche von EP1 vorwegnimmt, also inwieweit DE1 das zusätzliche Merkmal so weit offenbart, dass sie für die EP1 neuheitsschädlich ist, aber trotzdem nicht so weit, dass sie prioritätsbegründend wäre.

Gruß
Gerd
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Die Frage ist dann natürlich, inwieweit DE1 die engeren Ansprüche von EP1 vorwegnimmt, also inwieweit DE1 das zusätzliche Merkmal so weit offenbart, dass sie für die EP1 neuheitsschädlich ist, aber trotzdem nicht so weit, dass sie prioritätsbegründend wäre.
Ich halte das für unmöglich. Entweder DE1 offenbart den Gegenstand von EP1, oder es tut das nicht. Beides gleichzeitig geht nicht.

Problematisch wäre es nur, wenn DE1 vor dem Anmeldetag von EP1 veröffentlicht worden wäre. Dann könnte die Prio fehlen, aber DE1 für erfinderischen Schritt relevant sein. Aber Offenbarungen innerhalb der ersten 12 Monate sind ja nicht die Regel.
 

Schlupfloch

SILBER - Mitglied
Hallo

Ich halte das für unmöglich. Entweder DE1 offenbart den Gegenstand von EP1, oder es tut das nicht. Beides gleichzeitig geht nicht.

War da nicht mal irgendwas mit Zwischenverallgemeinerung, wo etwas neuheitsschädlich offenbart ist, aber nachher nicht den Anspruch stützt, weil nicht alle Merkmale in den Anspruch eingeflossen sind?

MfG
Martin
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Hallo



War da nicht mal irgendwas mit Zwischenverallgemeinerung, wo etwas neuheitsschädlich offenbart ist, aber nachher nicht den Anspruch stützt, weil nicht alle Merkmale in den Anspruch eingeflossen sind?
Ja, da war mal was. Das wäre der Fall, wenn DE1 enger wäre als EP1. In dem Fall könnte man EP1 auf DE1 einschränken, das hatten wir oben.
 

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

also Zwischenverallgemeinerung käme eher nicht in Frage, weil es um ein deutsches Nichtigkeitsverfahren geht und nicht um einen Einspruch gegen das europäische Patent.

Der BGH erlaubt ja im Gegensatz zum EPA "cherry picking" von Merkmalen, so lange sich die einzelnen zusammengepflückten Merkmale nicht gegenseitig ausschließen oder ganz offensichtlich nur in Kombination anwendbare Merkmale auseinandergerissen werden.

Die Frage ist eher, inwieweit ein Merkmal zwar neuheitsschädlich offenbart sein kann, ohne jedoch so weit offenbart zu sein (notfalls auch nur implizit), dass es essentieller Bestandteil eines Anspruchs werden kann.

Da muss es doch eigentlich auch schon Rechtsprechung geben (die ich leider bisher noch nicht gefunden habe). Kann ja nicht wirklich sein, dass so etwas noch nicht vorgekommen ist.

Gruß
Gerd
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Die Frage ist eher, inwieweit ein Merkmal zwar neuheitsschädlich offenbart sein kann, ohne jedoch so weit offenbart zu sein (notfalls auch nur implizit), dass es essentieller Bestandteil eines Anspruchs werden kann.

Diese Frage ist schon lange beantwortet. Sowohl in der deutschen als auch in der europäischen Rechtsprechung gilt jeweils ein einheitlicher Offenbarungsbegriff. Es gibt keine unterschiedlichen Grade der Offenbarung für die Zwecke der Neuheit, der Erlaubtheit von Änderungen und der Priorität. Ich weiß, das ist sehr unromantisch, es ist aber trotzdem so.

Für die deutsche Rechtsprechung kann man hierzu "Etikettiermaschine" lesen, für die europäische G2/98. Oder auch jeden beliebigen Kommentar.
 

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

Du bist Dir also absolut sicher, dass eine nachveröffentlichte deutsche Prioritätsanmeldung DE1 dem deutschen Teil einer EP, welche die Priorität der DE1 beansprucht, in Punkto Neuheit nichts anhaben kann?

Ein einfacher Haftungsfall (Beratungsfehler in Bezug auf die Patentansprüche in Kenntnis des DE-Prüfungsbescheides) wäre ja schon blöd genug. Einen doppelten daraus zu machen, indem man zur vollständigen Verteidigung rät, weil eine nachveröffentlichte deutsche Prioritätsanmeldung DE1 dem deutschen Teil einer EP, welche die Priorität der DE1 beansprucht, in Punkto Neuheit nichts anhaben kann, wäre natürlich extremst erstrebenswert...

Gruß
Gerd
 

philkopter

GOLD - Mitglied
Hallo,

wenn deine EP1 neu ist gegenüber der DE1, dann hast du keine wirksame Inanspruchnahme der Priorität; vgl. G 2/98 und BGH "Elektronische Funktionseinheit".

Gleichzeitig gilt, dass wenn die Nachanmeldung ausführbar ist, die Voranmeldung aber nicht, dann scheidet eine Inanspruchnahme der Priorität aus.

Eine nicht-ausführbare Offenbarung wird bei Neuheit dann nicht berücksichtigt. Es gibt also die beiden Fallkonstellationen: 1) EP1 ist neu gegenüber der DE1 (unabhängig davon ob DE1 ausführbar ist oder nicht, Prio ist nicht valide) oder 2) EP1 ist nicht neu gegenüber der DE1, dann ist die Prio valide in Anspruch genommen.
 

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

Ihr geht davon aus, dass die Offenbarung bezüglich Neuheitsschädlichkeit und Identität (gleiche Erfindung) zwingend gleich zu bewerten ist.

Allerdings sagt der BGH in X ZR 3/10, "UV-unempfindliche Druckplatte":

"Die Inanspruchnahme der Priorität einer früheren Anmeldung setzt voraus, dass die Prioritätsunterlagen die Gesamtheit der Merkmale der durch den Patentanspruch umschriebenen technischen Lehre deutlich offenbaren. Wird die erfindungsgemäße Lehre durch eine im Prioritätsdokument nicht (deutlich) offenbarte Eigenschaft eines ihrer Bestandteile charakterisiert, die dem Fachmann eine zielgerichtete Auswahl geeigneter Ausführungsformen erlaubt (hier: fehlende Fotoempfindlichkeit gegen-über ultraviolettem Licht), fehlt es an einer Offenbarung im Prioritätsdokument, wenn die Eigenschaft objektiv auch einem dort offenbarten Ausführungsbeispiel zukommt, sie für den Fachmann aber jedenfalls nicht ohne Weiteres zu erkennen ist."

-> Erkenntnis bei Nacharbeitung stützt nicht die Offenbarung der Prioritätsanmeldung.


Verbinden wir das mal hiermit:

BGH, 17.01.1980 - X ZB 4/79, "Terephthalsäure":

"Zu dem neuheitsschädlichen Offenbarungsinhalt der Beschreibung eines Verfahrens gehört auch, was dem Sachverständigen erst bei der Nacharbeitung des vorbeschriebenen Verfahrens über dessen Ergebnis unmittelbar und zwangsläufig offenbar wird."

-> Ergebnis der Nacharbeitung fließt in Offenbarung der neuheitsschädlichen Schrift ein.


Zusammen ergibt das, dass ein aufgund mangelder Offenbarung eines Merkmals nicht wirksam beanspruchtes Prioritätsdokument den Gegenstand der Nachanmeldung neuheitsschädlich vorwegnehmen kann, wenn dieses Merkmal bei der Nacharbeitung der Lehre des Prioritätsdokumentes unmittelbar und zwangsläufig offenbar wird.


Der BGH hält wohl auch weiterhin daran fest, dass die Offenbarug differenziert zu betrachten ist:

BGH, X ZR 206/98, "Fahrzeugleitsystem":

"Zwar ist der Offenbarungsbegriff grundsätzlich ein einheitlicher (vgl. Busse, PatG, 6. Aufl., § 3 Rdn. 92; zur früheren Rechtslage BGHZ 80, 323, 328 - Etikettiermaschine; zum Verhältnis Neuheitsprüfung - Identitätsprüfung zuletzt Sen.Urt. v. 14.10.2003 - X ZR 4/00 - elektrische Funktionseinheit, Umdruck S. 16, zur Veröffentlichung vorgesehen). Allerdings darf die unterschiedliche Funktion der Offenbarung etwa im Kontext der Neuheitsprüfung, der Ausführbarkeitsprüfung, der Identitätsprüfung oder der Prüfung der Beschränkungsmöglichkeit nicht außer acht gelassen werden. Zwar hat der Senat - noch zu § 26 Abs. 4 PatG 1968 - als zur Beschränkung ausreichend eine solche Offenbarung verstanden, die eine Benutzung durch andere Sachverständige als möglich erscheinen läßt (BGHZ 111, 21, 26 - Crackkatalysator I). Er hat weiter - ebenfalls noch zur früheren Rechtslage - dahin erkannt, daß die Feststellung genüge, nach dem Gesamtinhalt der Beschreibung solle zumindest auch eine bestimmte Ausgestaltung der Erfindung geschützt sein (BGH, Beschl. v. 6.10.1994 - X ZB 4/92, GRUR 1995, 113 - Datenträger). Daran fehlt es hier jedoch. Es kann nämlich - anders als für die Bejahung der Ausführbarkeit (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 20.11.2001 - X ZB 3/00, Mitt. 2002, 176 - Gegensprechanlage) - für die Zulässigkeit einer Beschränkung auf eine bestimmte Ausführungsform nicht genügen, daß der Fachmann nicht durch die bloße Lektüre der Patentschrift, sondern erst dann zu dieser die Ausführung der Erfindung gestattenden Ausgestaltung kommt, wenn er sich nähere und weiterführende Gedanken über die Ausführbarkeit der Erfindung macht und dabei durch die Beschreibung nicht vermittelte Informationen mit seinem Fachkönnen aus seinem Fachwissen ergänzt, auch wenn dies erfinderische Überlegungen nicht erfordert."

-> Erkennt unterschiedliche Funktion der Offenbarung im Kontext der Prüfung von Neuheit, Ausführbarkeit, Identität oder Beschränkungsmöglichkeit.


Allerdings wird in dieser Entscheidung nicht konkret auf die Identitätsprüfung eingegangen, sondern nur hierauf verwiesen:

BGH, X ZR 4/00, "Elektronische Funktionseinheit":

"Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung (EPA GBK - G 2/98 - GRUR Int. 2002, 80; EPA ABl. 1990, 250; EPA ABl. 1993, 40; vgl. auch Sen.Urt. v. 11.9.2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383 = GRUR 2002, 146 - Luftverteiler; Benkard/Ullmann/Grabinski, EPÜ, Art. 88 Rdn. 8)."

-> Ist dies als Abkehr von "Terephthalsäure" zu werten?


Das "Zwar" in X ZR 206/98 ("Fahrzeugleitsystem") legt zwar nahe, dass der BGH nicht uneingeschränkt an einem einheitlichen Offenbarungsbegriff festhält, eine konkrete Differenzierung wird dort aber nur zwischen Ausführbarkeit und Zulässigkeit einer Beschränkung angestellt. Bei Berücksichtigung von X ZR 3/10 ("UV-unempfindliche Druckplatte") dürfte die Prüfung der Zulässigkeit einer Beschränkung weiterhin an die gleichen Anforderungen geknüpft sein wie die Identitätsprüfung. Allerdings könnte X ZR 3/10 auch wieder Abkehr von X ZR 4/00 und der dort gleichgestellten Beurteilung von identischer Offenbarung und Neuheit bedeuten. Oder dass diese Gleichstellung in X ZR 4/00 zu generalisiert erfolgt und so nicht beabsichtigt war und entsprechend auch nicht so generalisiert auszulegen ist.

Gibt es eigentlich irgendwo einen eindeutigen Hinweis des BGH für eine Abkehr von der Definition des neuheitsschädlichen Offenbarungsinhalts der Beschreibung aus "Terephthalsäure"?

Gruß
Gerd
 

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

Gibt es eigentlich irgendwo einen eindeutigen Hinweis des BGH für eine Abkehr von der Definition des neuheitsschädlichen Offenbarungsinhalts der Beschreibung aus "Terephthalsäure"?

Weiß da evtl. noch jemand was zu?

Und ob es evtl. doch noch andere Möglichkeiten gibt, wie eine nachveröffentlichte Prioritätsanmeldung neuheitsschädlich für die Nachanmeldung sein kann?

Gruß
Gerd
 
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