Verletzt das Fahrrad ein patentiertes Einrad?

Kurt

*** KT-HERO ***
Hi Forum,

folgende Konstellation, bei der es darum geht, ob der Schutzbereich eines beanspruchten einfach vorhandenen Merkmals auch Gegenstände umfasst, die das Merkmal mehrfach aufweisen.

Stand der Technik:
Zweiäugige ("trigonometrische") Entfernungsmesser

Erteilter Patentanspruch:
Entfernungsmesser mit einem Auge und neuartiger Laufzeitmessung
(Achtung: ausdrücklich nicht erteilt als "mit zumindest einem Auge")

Beschreibung:
Die neuartige Laufzeitmessung erlaubt es, mit nur einem Auge auszukommen. Die Verwendung mehrerer Augen kann die Genauigkeit der Messung noch erhöhen.

Umgehungslösung des Wettbewerbers:
Entfernungsmesser mit zwei Augen, jedes Auge hat die neuartige Laufzeitmessung

Frage:
Verletzt der Wettbewerber das Patent?

Vielen Dank vorab für Meinungen,
Grüße Kurt
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Um es etwas kniffliger zu machen:

Es geht um eine US-Anmeldung, und beantragt war der Patentanspruch so:

• "Entfernungsmesser mit zumindest einem Auge und neuartiger Laufzeitmessung"

Dann hielt der Prüfer jahrelang diverse Entfernungsmesser mit zwei Augen entgegen, bis man entnervt das "zumindest" aus dem Patentanspruch strich, woraufhin erteilt wurde:

• "Entfernungsmesser mit einem Auge dank neuartiger Laufzeitmessung"

In der Beschreibung steht aber immer noch, dass mehrere Augen die Genauigkeit verbessern.

Kommt nun der Wettbewerber mit seinem "zweiäugigen Entfernungsmesser mit Laufzeitmessung", und ich will dagegen vorgehen, wird mir dann File Wrapper Estoppel aka Prosecution History Estoppel vorgehalten werden?

„Prosecution History Estoppel hindert einen Patentinhaber daran, einen Gegenstand ["zumindest"] in den Schutzbereich einzubeziehen, auf den im Laufe des Erteilungsverfahrens verzichtet wurde.“

Fragt sich & euch
Kurt
 

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

jepp, das dürfte für ein PH-Estoppel ausreichen.

Früher wäre das evtl. noch über eine reissue "heilbar" gewesen, wenn die Erteilung noch nicht lange her gewesen wäre, aber seit Greenliant Systems, Inc. v. Xicor LLC dürfte das auch nicht mehr funktionieren.

Gruß
Gerd
P.S.:
Hätte man nicht evtl. zuerst den Anspruch in zwei unabhängige teilen können (einer mit einem Auge und einer mit mehr als einem Auge), dann eine allowance für den einen mitnehmen und den anderen möglichst zeitgleich in einer continuation weiterverfolgen? Ein PHE greift ja nur bezüglich der DOE. Die reissue recapture Geschichte sollte nur bei der reissue eine Nachverbreiterung ausschließen. Ob es sowas auch für die continuation gibt, ist mir nicht bekannt.
Wahrscheinlich ist aber auch keine continuation mehr anhängig, also eh zu spät, oder?
 
Zuletzt bearbeitet:

Kurt

*** KT-HERO ***
OK vielen Dank für die Inputs -- ich bemühe mich, Deine komprimierte Fassung nachzuvollziehen:

Hätte man nicht evtl. zuerst den Anspruch in zwei unabhängige Ansprüche teilen können (einer mit einem Auge und einer mit mehr als einem Auge), dann eine Erteilung für den Anspruch mit einem Auge mitnehmen, und den Anspruch mit mehr als einem Auge möglichst zeitgleich in einer Continuation-Anmeldung weiterverfolgen?
OK wäre wohl möglich.


Der logische Zusammenhang zwischen PHE, DOE und Reissue ist mir hier noch nicht klar.

Ob es sowas auch für die continuation gibt, ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich ist aber auch keine continuation mehr anhängig, also eh zu spät, oder?

Vorliegend sei das Patent in Wahrheit noch nicht erteilt, somit stünde der Weg einer continuation wohl noch offen.

Grüße Kurt
 
Zuletzt bearbeitet:

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

durch PHE wird der Anspruchsumfang bezüglich des betroffenen Merkmals auf literale Verletzung beschränkt.
Hätte der Anmelder gleich nur ein Auge beansprucht, wären zwei Augen wohl als äquivalente Verletzung durchgegangen. Da aber mehr als ein Auge in der vorliegenden Anmeldung erfolgreich zurückgewiesen wurde, darf der Anmelder sich nicht nachher auf das Äquivalent berufen.

Bei der reissue ist der Fall ähnlich, weil der Schutzumfang ja in der vorliegenden Anmeldung bereits aufgegeben wurde.

Eine continuation ist je eine neue Anmeldung, in der neu geprüft wird und in der eben Dinge beansprucht werden können, die in der ursprünglichen Anmeldung nicht weiterverfolgt werden können.
In Deinem Link zur reissue recapture (schön gemacht übrigens mit den Links) ganz unten steht da auch was zu.


PHE können unter Umständen aber auch auf die continuation durchgreifen. Deshalb Schutzbereiche, die man in der ursprünglichen Anmeldung aufgeben "möchte" möglichst zeitgleich oder sogar besser vorher in einer continuation beanspruchen.
Und immer vorsichtig sein mit irgendwelchen Begründungen von amendments. Die springen leichter über die Grenzen einzelner Kinder oder Eltern hiweg als die amendments selbst. Zur Not einfach geänderte Ansprüche einreichen, die der Prüfer haben will, ohne das zu kommentieren.

Wenn noch eine continuation geht, ist es ja wohl nicht ganz so schlimm. Ich würde da aber erst noch einen US Kollegen befragen.

Gruß
Gerd
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Super erklärt, vielen Dank. Werde mir das nochmal durch den Kopf gehen lassen.

Beste Grüße Kurt
 

grond

*** KT-HERO ***
Hi Forum,

folgende Konstellation, bei der es darum geht, ob der Schutzbereich eines beanspruchten einfach vorhandenen Merkmals auch Gegenstände umfasst, die das Merkmal mehrfach aufweisen.

Wäre dem nicht so, dann hätte ich in meiner Laufbahn einige hundert Patente mit zu kleinem Schutzbereich produziert. Hast Du umgekehrt schon einmal argumentiert, dass der Stand der Technik ja nicht nur eine vorteilhafte XYZ-Einheit aufweist, wie sie in Deinem Anspruch steht, sondern gleich zwei? Wenn etwas zweimal vorhanden ist, dann ist es auch einmal vorhanden. Soll ein "Auto mit einem Auspuff" kein Auto mit einem Auspuff mehr sein, wenn es zwei Auspuffe (Puffs? Püffe?) hat? Dieses ganze paranoide "mindestens" und "wenigstens" macht doch Ansprüche nur unlesbar. Wenn die genaue Anzahl erfindungswesentlich ist, dann braucht es schon ein zusätzliches Wort wie "genau ein", "nicht mehr als ein" oder dergleichen. Auch bei der Auslegung des Schutzbereichs ist das Verständnis des Durchschnittsfachmanns heranzuziehen. Würde der wirklich denken, dass die Erfindung nicht mehr funktioniert, wenn mehrere entsprechende Einheiten vorgesehen sind?
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Ja das stimmt natürlich alles. Wenn es kein amerikanisches Verfahren wäre, würde ich mir auch nicht weiter den Kopf zerbrechen, und schlicht den einäugigen Entfernungsmesser beanspruchen.

Ebenso dann, wenn man im vorliegenden US-Verfahren von Anfang an nicht "mindestens ein Auge", sondern "ein Auge" beansprucht hätte, und auf diese Weise das Hickhack mit dem Prüfer aufgrund der entgegengehaltenen mehräugigen Entfernungsmesser vielleicht vermieden hätte.

Deine Argumente treffen also zu, helfen aber aus meiner Sicht nicht aus dem Dilemma im US-Verfahren mit dem drohenden Akteneinwickel-Vorstopper (oder wie das heißt) in einem möglichen Verletzungsverfahren heraus.

Grüße Kurt
 
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