Stand der Technik nach Art. 54 (3) - so geht's aber nicht

H

Hanno

Guest
Aus den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt C IV 6.1a zum Thema "ältere europäische Rechte":

"... Ferner muß die kollidierende [nachveröffentlichte] Anmeldung am Tag ihrer Veröffentlichung noch anhängig gewesen sein (siehe J 5/81, ABl. 4/1982, 155). Ist eine Anmeldung, die vor dem Veröffentlichungstag zurückgenommen oder auf andere Weise ungültig wurde, dennoch veröffentlicht worden, weil die Vorbereitungen für die Veröffentlichung abgeschlossen waren, so hat die Veröffentlichung nicht die Wirkung nach Art. 54(3), sondern nur die Wirkung nach Art. 54(2). Art. 54(3) ist so auszulegen, daß die Veröffentlichung einer «gültigen» Anmeldung, d.h. einer am Tag ihrer Veröffentlichung existierenden europäischen Patentanmeldung, gemeint ist.

Entweder habe ich einen Knoten im Hirn, oder obiges ist kompletter Quark.

Also angenommen, eine ältere europäische Anmeldung wurde so spät zurückgenommen, dass sie trotz Rücknahme veröffentlicht wurde.

Normalerweise wäre diese Anmeldung als älteres europäisches Recht gemäß Art. 54 Abs. 3 EPÜ lediglich in Bezug auf Neuheitsschädlichkeit gegenüber einer späteren Anmeldung zu berücksichtigen.

Jetzt steht dort oben in den Richtlinien, dass im Fall der Rücknahme vor der Veröffentlichung die trotzdem veröffentlichte, ältere Anmeldung nicht einen Stand der Technik nach Art. 54(3), sondern "nur" nach Art. 54(2) bildet.

WAS SOLL DENN DAS?

Stand der Technik "nur" nach Art. 54(2)!

Eine stärkere Wirkung als gemäß Art. 54(2) kann doch ein Stand der Technik überhaupt nicht haben. Was soll also das Wort "nur" in diesem Zusammenhang??

Wird diese ungewollt veröffentlichte ältere Anmeldungen nun in irgendeiner Weise bei der Prüfung auf Neuheit bzw. erfinderische Tätigkeit berücksichtigt, oder nicht?

Und wenn ja, wie?

- Vorveröffentlichte Anmeldungen können ja im vollen Umfang bezüglich Neuheit sowie Erfindungshöhe berücksichtigt werden, also gemäß 54(2).

- Nachveröffentlichte Anmeldungen lediglich bei der Neuheitsprüfung, also gemäß 54(3).

- Ungewollt nachveröffentlichte Anmeldungen jedoch nur in Bezug auf ???? Na-Wat-Denn-Nu?

Ich zweifle an meinen Verstand, zumal die angegebene J 5/81 hierzu m.E. überhaupt nichts hergibt.

Wer kennt des Rätsels Lösung?
 
G

GAST_DELETE

Guest
Das ist einfacher als es im ersten Moment escheint: Das Wort "nur" soll aussagen, dass der fallengelassenen Entgegenhaltung nunmehr der Zeitrang der Veröffentlichung zukommt, der naturgemäß nach dem Priotag/Anmeldetag liegt. Eben ein ganz gewöhnlicher StdT nach A54(2).

Würde die Entgegenhaltung nicht fallengelassen worden sein, dann hätte sie außerdem den Status aus A54(3)(4)EPÜ mit Zeitrang des Priotags/Anmeldetags.

Bob
 
H

Hanno

Guest
Katze beißt sich in den Schwanz

Moin Bob et al.,

gut und schön, aber dann ist doch der entsprechende Absatz in den EPA-Richtlinien entweder überflüssig oder falsch.

Wenn ich dich richtig verstehe, dann bildet diese ungewollt nachveröffentlichte ältere Anmeldung gegenüber der zu prüfenden späteren Patentanmeldung also überhaupt keinen Stand der Technik mehr, da sie

1.) als "ungültige" Anmeldung nicht mehr gemäß A 54(3) berücksichtigt wird, aber auch
2.) nicht gem. A 54(2) berücksichtigt werden kann, da sie ja gegenüber der zu prüfenden Patentanmeldung nicht vorveröffentlicht ist!

Die ungewollt nachveröffentlichte Anmeldung ist damit gegenüber der in Rede stehende Anmeldung eben kein
"... ganz gewöhnlicher StdT nach A54(2) ...", sondern vielmehr überhaupt kein Stand der Technik.

Gegenüber irgendwelchen anderen, späteren Anmeldungen ist die ungewollte Veröffentlichung natürlich Stand der Technik gemäß Art. 54 (2), aber darum geht es an dieser Stelle in den Richtlinien ja überhaupt nicht.

Müsste es somit dort nicht vielmehr heißen:

Ist eine Anmeldung, die vor dem Veröffentlichungstag zurückgenommen oder auf andere Weise ungültig wurde, dennoch veröffentlicht worden, weil die Vorbereitungen für die Veröffentlichung abgeschlossen waren, so hat die Veröffentlichung nicht die Wirkung nach Art. 54(3) [J 5/81]. Eine solche Anmeldung ist daher weder bei der Neuheitsprüfung noch bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigen.

Richtig - oder habe ich immer noch eine Denkblockade?
 
S

Sonntagsmorgens-Kandidatentreffleser-statt-EQE-Ler

Guest
Du hast es ja schon, verstanden.

Man darf diese Stelle halt nur nicht so auslegen, wie Du es jetzt versuchst.

Könnte ja beispielsweise vorkommen, dass die Prio nicht wirksam beansprucht wurde, dann käme 54(2) in Betracht.

Außerdem ist die Anmeldung natürlich ab ihrem Veröffentlichungstag für alle anderen Anmeldungen mit späterem Anmeldetag bzw. Priotag voller Stand der Technik.

Die Stelle soll m.E. dies nur nochmals deutlich machen, damit keiner (kein Prüfer) auf die Idee kommt, zu sagen, eigentlich hätte die Anmeldung ja nicht veröffentlicht werden sollen, gilt ausdrücklich nicht als SdT gemäß 54(3) und gilt in Weiterführung dieser Überlegungen auch nicht als Sdt nach 54(2) (für nichts und niemanden).

Einverstanden?
 
H

Hanno

Guest
Einverstanden.

Einverstanden.

Na dann bis neulich, bei der EQE...

(gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, dass bis dahin keine weiteren Fragen mehr auftreten ;-)
 
G

GAST_DELETE

Guest
In der Tat scheint die Formulierung in den Rili's große Verwirrung insbesondere bei gestressten EQE'lern zu stiften.

Jetzt ist die Verwirrung größer als vorher, aber man muss sich nur vor Augen halten, dass StdT A54(2) und A54(3) völlig verschiedene Zeitränge beinhalten, nämlich im ersteren Fall ist es der Veröffentlichungstag, im letzteren Fall ist es der Prio/Anmeldetag. Wenn das Streitpatent genau dazwischen liegt, tritt der Spezialfall des A54(3) ein.

Im Endeffekt fällt diese fallengelassene (nettes Wortspiel) EP/Euro-PCT- Entgegenhaltung als StdT nach A54 völlig weg, wenn sie nämlich nachveröffentlicht ist und dabei nicht mehr anhängig war. Sie spielt überhaupt keine Rolle mehr. Dies entspricht deiner 1.) Vermutung.

Sie könnte zukünftig "nur" noch ein A54(2)-Dokument sein, genießt mithin nur noch den späteren Zeitrang ihrer Veröffentlichung. Der allerdings liegt im speziellen Fall regelmäßig nach dem Prio/Anmeldetag des Streitpatents, so dass die fallengelassene Entgegenhaltung überhaupt kein StdT i.S.v. A54 mehr ist.

Ich muss jetzt Schluss machen, bevor das alles noch komplizierter wird.

Bob
 
G

GAST_DELETE

Guest
Entschuldigung dass ich mich noch mal zu Wort melde, unsere Antworten haben sich zeitlich irgenwie überschnitten.

>

Sorry to say, aber genau das Gegenteil dieser Aussage ist in der besagten J5/81 so ausgesprochen worden.

Bob
 
U

ufte

Guest
Du schriebest:
"Sorry to say, aber genau das Gegenteil dieser Aussage ist in der besagten J5/81 so ausgesprochen worden."

Sorry to say, aber jetzt sind wir hier doch ein bisschen in Diskutierlaune geraten, oder?

Einig war man sich doch über folgendes:

Eine fallengelassene aber dennoch veröffentlichte Internationale Anmeldung kann NICHT (in keiner Weise!) als Stand der Technik nach Art. 54 (3) EPÜ GELTEN (das ist ja ohnehin lediglich eine gesetzliche Fiktion!).

Deren Veröffentlichung IST aber dennoch Stand der Technik nach 54 (2) EPÜ. (Natürlich nicht für Anmeldungen mit einem früheren Zeitrang als dem Veröffentlichungstag, aber das ist ja wohl auch klar!)

Alle anderen rein sprachlich motivierten Auslegungsversuche der Richtlinien verbieten sich.

Gruß,

Ufte.
 
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