Neuheit und teilweise Bereichsüberschneidung (EPÜ)

K

Kurt

Guest
Folgendes:

Angenommen, Patentanspruch 1 lautet etwa wie folgt:

Vorrichtung,
gekennzeichnet durch
Element, wobei das Element 10 bis 100 mm lang ist.

Eine Entgegenhaltung offenbart eine
Vorrichtung mit einem Element, wobei das Element 80 bis 200 mm lang ist.

Nun ist es gemäß EPA-Rechtsprechung wohl anerkannt, dass man mittels Disclaimer Neuheit gegenüber einer solchen Entgegenhaltung herstellen darf, wenn ich das richtig verstehe. Dies auch dann, wenn der Disclaimer bzw. der neu beanspruchte Bereich nicht ursprünglich offenbart war.

Ich dürfte also zur Herstellung der Neuheit meinen Patentanspruch - ohne in eine unzulässige Erweiterung hineinzulaufen - wohl ändern wie folgt:

Vorrichtung,
gekennzeichnet durch
Element, wobei das Element 10 bis 80 mm lang ist.

Erste Frage: Stimmts?

Zweite Frage: Wie stellt sich dieselbe Situation im US-Recht dar? Kann ich mich auch dort auf einen nicht ursprünglich offenbarten bzw. herausgestellten Unterbereich zurückziehen?
 
G

grond

Guest
Re: Neuheit und teilweise Bereichsüberschneidung

Kurt schrieb:
Ich dürfte also zur Herstellung der Neuheit meinen Patentanspruch - ohne in eine unzulässige Erweiterung hineinzulaufen - wohl ändern wie folgt:

Vorrichtung,
gekennzeichnet durch
Element, wobei das Element 10 bis 80 mm lang ist.

Erste Frage: Stimmts?
Meines Wissens ist das nicht möglich, wenn der Fachmann der Beschreibung nicht Angaben zu unterschiedlichen Größen und dadurch verursachte unterschiedliche Wirkungen entnehmen konnte. Deshalb sollte man, wann immer man irgendwelche Maße in Ansprüche nimmt, die Beschreibung entsprechend aufpumpen, also mehrere Maße und Maßbereiche angeben und welche besonders geeignet für die Lösung der gestellten Aufgabe sind. Manchmal kann es schon reichen, wenn eine Angabe "kleiner=besser" dabei ist, um den beanspruchten Bereich nach oben abzugrenzen, weil dem Fachmann zugetraut wird herauszufinden, wie klein noch klein genug für die Lösung der Aufgabe ist (=ober Grenze).

Diese Angaben sind aber ohne jede Gewähr und dienen im Zweifelsfall allein der Belustigung der kundigeren Kandidatschaft.


Kurt schrieb:
Zweite Frage: Wie stellt sich dieselbe Situation im US-Recht dar? Kann ich mich auch dort auf einen nicht ursprünglich offenbarten bzw. herausgestellten Unterbereich zurückziehen?
Keine Ahnung. In den USA werden ja gerne die einschlägigen Dokumente des Standes der Technik "included by reference", weshalb man dann auch die Offenbarung in diesen Referenzen zur Abgrenzung heranziehen kann. Ist der SdT aber nicht bekannt gewesen und deshalb nicht referenziert worden, könnte es auch dort eventuell schwierig werden.
 
L

Landidat

Guest
Re: Neuheit und teilweise Bereichsüberschneidung

Kurt schrieb:
Angenommen, Patentanspruch 1 lautet etwa wie folgt:

Vorrichtung,
gekennzeichnet durch
Element, wobei das Element 10 bis 100 mm lang ist.

Eine Entgegenhaltung offenbart eine
Vorrichtung mit einem Element, wobei das Element 80 bis 200 mm lang ist.

Nun ist es gemäß EPA-Rechtsprechung wohl anerkannt, dass man mittels Disclaimer Neuheit gegenüber einer solchen Entgegenhaltung herstellen darf, wenn ich das richtig verstehe. Dies auch dann, wenn der Disclaimer bzw. der neu beanspruchte Bereich nicht ursprünglich offenbart war.

Ich dürfte also zur Herstellung der Neuheit meinen Patentanspruch - ohne in eine unzulässige Erweiterung hineinzulaufen - wohl ändern wie folgt:

Vorrichtung,
gekennzeichnet durch
Element, wobei das Element 10 bis 80 mm lang ist.

Erste Frage: Stimmts?
Ich bin nicht sicher. Der Disclaimer ist, meines Wissens, nur dann zulässig, wenn die entgegengehaltene Offenbarung zufällig neuheitsschädlich ist und die Entgegenhaltung, die diese Offenbarung enthält, für die weitere Prüfung der beanspruchten Erfindung nicht relevant ist, und sie mit der Formulierung des Disclaimers aus dem Bereich des zu berücksichtigenden Stands der Technik ausscheiden müsste (T 863/96; T 1071/97)

Falls dem nicht so ist, würde wohl eher eine Auswahlerfindung in Frage kommen, deren notwendige Kriterien in T279/89 kurz skizziert sind. Da es sich in diesem Fall wohl um eine Bereichsüberlappung handeln würde, wäre die Neuheit mit Hinblick auf T 666/89, meiner Meinung nach, nicht erfüllt.
 
K

Kand.

Guest
Re: Neuheit und teilweise Bereichsüberschneidung

Diese Fragestellung wurde im April diesen Jahres von der Großen Beschwerdekammer AZ G 01/03 richtungsweisend beantwortet. Siehe hier:

http://legal.european-patent-office.org/dg3/biblio/g030001dp1.htm

Demnach ist es für einen Disclaimer nicht notwendig, daß der ausgenommene Wertebereich bereits ursprünglich offenbart war. Allerdings ist ein solcher Disclaimer nur dann zulässig, wenn damit lediglich die Neuheit gegenüber einem zufällig neuheitsschädlichen Dokument herstellbar ist. Die erfinderische Tätigkeit darf hiervon nicht berührt sein, das heißt der Disclaimer darf nicht zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden.

Genaueres kann man jedoch aus den Leitsätzen der wirklich interessanten und wichtigen Entscheidung G 01/03 herauslesen.
 
E

Elke

Guest
Re: Neuheit und teilweise Bereichsüberschneidung

Kurt schrieb:
Vorrichtung,
gekennzeichnet durch
Element, wobei das Element 10 bis 80 mm lang ist.
Wo ist denn hier ein Disclaimer ? Du disclaimst ja gar nichts, du hast einfach einen neuen Unterbereich engeführt, der in deiner Beschreibung nirgends offenbart war. Und ein Disclaimer ist auch eh kein Allheilmittel, da gibt es präzise Bedingungen, siehe G 1/03.
 
L

Landidat

Guest
Re: Neuheit und teilweise Bereichsüberschneidung

Elke schrieb:
Kurt schrieb:
Vorrichtung,
gekennzeichnet durch
Element, wobei das Element 10 bis 80 mm lang ist.
Wo ist denn hier ein Disclaimer ? Du disclaimst ja gar nichts, du hast einfach einen neuen Unterbereich engeführt, der in deiner Beschreibung nirgends offenbart war. Und ein Disclaimer ist auch eh kein Allheilmittel, da gibt es präzise Bedingungen, siehe G 1/03.
Doch, genau so etwas zählte mal als Disclaimer, weil der Bereich zwischen 80 und 100 mm ausgeklammert wird (T 982/94).

- L
 
R

Robby

Guest
Re: Neuheit und teilweise Bereichsüberschneidung

Meine Erfahrung: Disclaimer nach EPA sind was für die Chemie. Denn diesen zufälligen Stand der Technik gibt es in der Mechanik höchst selten. Und Dein Beispiel riecht auch sehr nach einem nicht zufällig neiheitsschädlichem Stand der Technik. Man müsste halt die ganze Akte kennen. Versuch einmal die oben zitierte G-Entscheidung (01/03 und 02/03, oder?) auf eine Dir bekannte Mechanik-Akte zu lesen. Da wirst Du schnell feststellen, dass die Voraussetzungen wohl nicht erfüllt sind. In der Chemie sieht das ganz anders aus.
 
J

Johnny

Guest
Re: Neuheit und teilweise Bereichsüberschneidung

Landidat schrieb:
Doch, genau so etwas zählte mal als Disclaimer, weil der Bereich zwischen 80 und 100 mm ausgeklammert wird (T 982/94).
Ich glaube nicht, dass die Entscheidung T 982/94 heute noch Bestand hat. Im übrigen ist nicht mal nachgeprüft worden, ob die Entgegenhaltung als "zufällig" im Sinne von G 1/03 anzusehen war.

Es reicht nicht, irgendeine Entscheidung zu zitieren, sondern man muss abwägen, wie HEUTE eine Beschwerdekammer entscheiden würde. (Diese Bemerkung ist keine Spitze gegen Herrn Landidat. Ich sehe nur gelegentlich Erfinder, die selbst in den Datenbanken rumwühlen und dann aus irgendwelchen obskuren Entscheidungen zitieren. Ich hatte auch mal einen Kandidaten-Kollegen, der darin sehr gut war. (Er ist jetzt Pharmareferent)).
 
P

paule

Guest
Re: Neuheit und teilweise Bereichsüberschneidung

Zur Definition des Begriffs Disclaimer ist T323/97 heranzuziehen - es ist ein negetives technisches Merkmal. Das sehe ich in Deinem Anspruch nicht. Die Entscheidung T982/94 ist demnach wohl überholt.

Zur ursprünglichen Offenbarung des Bereichs bis 80mm hätte ich für das deutsche Recht noch BGH GRUR 92, 842 "Chrom-Nickel-Verbindung" und 93, 651 "Tetraploide Kamille" beizutragen. Schulte schreibt dazu "ist aber der Bereich für den Fachmann eindeutig beschrieben, so sind alle Variationen und alle innerhalb der Granzwerte liegenden Zwischenwerte sowie daraus beliebig gebildete Teilmengen offenbart"
 
L

Landidat

Guest
Re: Neuheit und teilweise Bereichsüberschneidung

Johnny schrieb:
Landidat schrieb:
Doch, genau so etwas zählte mal als Disclaimer, weil der Bereich zwischen 80 und 100 mm ausgeklammert wird (T 982/94).
Ich glaube nicht, dass die Entscheidung T 982/94 heute noch Bestand hat. Im übrigen ist nicht mal nachgeprüft worden, ob die Entgegenhaltung als "zufällig" im Sinne von G 1/03 anzusehen war.

Es reicht nicht, irgendeine Entscheidung zu zitieren, sondern man muss abwägen, wie HEUTE eine Beschwerdekammer entscheiden würde. (Diese Bemerkung ist keine Spitze gegen Herrn Landidat. Ich sehe nur gelegentlich Erfinder, die selbst in den Datenbanken rumwühlen und dann aus irgendwelchen obskuren Entscheidungen zitieren. Ich hatte auch mal einen Kandidaten-Kollegen, der darin sehr gut war. (Er ist jetzt Pharmareferent)).
Zu meiner Verteidigung: Ich sagte ja auch: so etwas zählte MAL als Disclaimer. Ich habe diese Entscheidung deswegen zitiert, weil diese, mMn, ein Grund sein kann bei dem Sachverhalt überhaupt auf einen solchen Disclaimer zu kommen.

Bzgl. "zufällig" "neuheitsschädlich" etc. habe ich doch schon in meinem ersten Beitrag klar gemacht, daß wohl erst zu prüfen wäre, um was für eine Art von Entgegenhaltung es sich handelt, ob Disclaimer überhaupt zulässig sind und ob es sich nicht vielmehr um eine Auswahlerfindung handeln würde.

- L
 
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