Einspruch - nicht neu und nicht erfinderisch

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Wo gerade so viel über Einsprüche diskutiert wird, fällt mir folgendes Problem ein:

Ich habe beispielsweise drei Druckschriften D1, D2, D3 aus dem gleichen Gebiet der Technik, wobei alle Merkmale des angegriffenen Anspruchs A1 in D1 offenbart sind. D2 und D3 offenbaren jeweils eine Untermenge dieser Merkmale, aber es gibt mindestens ein Merkmal, das weder in D2 noch in D3 offenbart ist, sondern nur in D1.

Nun stützt man den Einspruch in so einem Fall sicherlich auf die beiden Gründe der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit. Es ist aber klar, dass bei fehlender Neuheit eine erfinderische Tätigkeit ohnehin nicht mehr möglich ist.

Argumentiert Ihr dann überhaupt noch mit der erf. Tätigkeit, etwa in der Art "weiterhin ergibt sich der Gegenstand von A1 in naheliegender Weise aus der Zusammenschau von D1 und D2"? Das wäre eigentlich nicht mehr notwendig, wenn die Neuheit bestritten wurde. Also weglassen?

Aber es könnte doch sein, dass die Neuheitsschädlichkeit vom Amt nicht anerkannt oder von der Gegenseite bestritten wird (das auf jeden Fall, wer würde das nicht tun ...), weil die Merkmale sich z.B. nicht alle in einem einzigen Ausführungsbeispiel finden. Man könnte natürlich auf die Erwiderung der Gegenseite warten und dann auf die erf. Tätigkeit eingehen. Allerdings müssen ja die Einspruchsgründe auf jeden Fall innerhalb der Einspruchsfrist genannt und substantiiert werden - geht also so nicht.

Oder leitet Ihr dann mit einer Bemerkung wie "für den Fall, dass mangelnde Neuheit nicht erkannt / bestritten wird ..." zur erf. Tätigkeit über? Damit würde man nun zu erkennen geben, dass man der eigenen Argumentation nicht ganz traut. Ist also auch nicht so ganz das Wahre.

Wie kann man sich denn elegant aus diesem Schlamassel befreien?
 
G

GAST_DELETE

Guest
Ich argumentiere immer mit fehlender Neuheit und mit fehlender erfinderischer Tätigkeit (u.a. auch wegen G10/91).
Nur die Gewichtung ist je nach der Qualität der Dokumente verschieden.
Wenn der S.d.T. tatsächlich prima facie neuheitsschädlich ist, dann halte ich es mit der erfinderischen Tätigkeit relativ kurz; ist der Fall nicht so eindeutig, dann nimmt natürlich auch die erfinderische Tätigkeit breiteren Raum an.
 
U

u. n. own

Guest
Ob mein Vorschlag besonders elegant ist, möchte ich nicht behaupten. Aber ich habe in solchen Fällen in Einspruchsbegründungen Überleitungen gesehen, die etwa lauteten:

"In jedem Fall beruht der Gegenstand des Anspruchs x gegenüber einer Kombination aus D1 und D2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit."

Also kurz, knapp und ohne irgendeinen direkten Hinweis auf mögliche argumentative Schwächen bezüglich der Neuheitsschädlichkeit von D1.

Ich denke, den indirekten Hinweis auf die Tatsache, dass man D1 auch für nicht neuheitsschädlich ansehen kann, zu umgehen, wird schwer sein. Aber: Eigentlich sollte die Einspruchsabteilung Deinen Neuheitseinwand vorbehaltlos prüfen, d.h., ohne Rücksicht darauf, was Du in Deiner späteren Argumentation mit diesem Dokument noch anstellst.
 
G

grond

Guest
Ich habe gelernt, dass man niemals die Neuheit angreift, weil nur ein einziges Merkmal, das nicht unmittelbar und eindeutig aus dem Stand der Technik hervorgeht, reicht, um den Einwand abzuwenden. Wenn man aber keinen Einwand wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit vorgebracht hat, weil man einen scheinbar wasserdichten Angriff auf die Neuheit vorzubringen glaubte, ist das Verfahren mit einer peinlichen Niederlage an dieser Stelle beendet (kann bis zum Haftungsfall gehen!). Also muss man die erfinderische Tätigkeit in jedem Fall angreifen. Wenn man nun aber beides angreift, hat man das Problem, dass man sich in seiner Begründung selbst widerspricht, denn beim Einwand gegen die erfinderische Tätigkeit muss man ja quasi die Neuheit voraussetzen. Hingegen kann ein Gegenstand, der nicht neu ist, niemals auf erfinderischer Tätigkeit beruhen, so dass es reicht, die erfinderische Tätigkeit anzugreifen, selbst wenn sich herausstellt, dass schon die Neuheit nicht gegeben ist. Deswegen ist es überflüssig, einen Neuheitseinwand zu erheben.
 
U

u. n. own

Guest
grond schrieb:
Ich habe gelernt, dass man niemals die Neuheit angreift... Deswegen ist es überflüssig, einen Neuheitseinwand zu erheben.
Okay, das ist ein Standpunkt. Aber teilen kann ich ihn nicht.

Ich habe gelernt, dass man IMMER einen Neuheitseinwand erhebt, und wenn man dazu eine beliebige Anzahl von Merkmalen als "implizit offenbart" voraussetzen muss...;-)

Grund: Mangelnde Neuheit ist viel einfacher zu überprüfen und zu begründen als mangelnde erfinderische Tätigkeit (nur ein Dokument aus StdT zur Begründung erforderlich, keine Ausflüchte mit "problem-solution-approach" oder "could-would-approach" möglich). Daher lautet der Erfahrungssatz, den mir mein Ausbilder mit auf den Weg gegeben hat: Ein Angriff wgen mangelnder erfinderischer Tätigkeit scheitert leichter und ist in der Beschwerde leichter ins Gegenteil zu verkehren als ein Neuheitseinwand.

Natürlich ist auch bei "an den Haaren herbeigezogenen" Neuheitseinwänden, bei denen man tatsächlich mit implizit offenbarten Merkmalen hantiert, leicht eine Widerlegung möglich. Aber: Das entsprechende Dokument wurde - da Neuheitseinwände erfahrungsgemäß als erstes abgehandelt werden - sehr gründlich auf seinen Offenbarungsgehalt untersucht, und auf einer solchen Analyse kann man dann meist viel leichter einen Einwand wg. erf. Tätigkeit begründen, als wenn man die Neuheit wegläßt. (Oder andersherum: Wenn man das entsprechende Dokument für erfinderische Tätigkeit schon so genau auseinandernehmen muss, warum dann nicht auch für Neuheit?) Natürlich funktioniert das nur, wenn auch eine entsprechende Basis in der Offenbarung vorhanden ist - fünf Merkmale als implizit offenbart zu betrachten, ist ein bisschen viel ;-)

Aber generell gilt bei uns im Einspruch: Wenn irgend möglich - Neuheit angreifen!

(Dass dieses Verfahren keinen Anspruch darauf erhebt, eine absolute Wahrheit darzustellen, sollte sich von selbst verstehen. ich möchte es aber dennoch betonen.)
 
G

grond

Guest
u. n. own schrieb:
(Dass dieses Verfahren keinen Anspruch darauf erhebt, eine absolute Wahrheit darzustellen, sollte sich von selbst verstehen. ich möchte es aber dennoch betonen.)
Wir haben unsere beiden Ansichten dargestellt, das sollte genügen. Aber ein Hinweis sei mir erlaubt: dann mach wenigstens immer beide Einwände. Wenn Du die erfinderische Tätigkeit nicht angreifst, dann reicht die "Schraube linksrum", um Deinen Einspruch scheitern zu lassen. In die Berufung kommst Du dann auch nicht, weil Du den Einspruchsgrund gegen die erfinderische Tätigkeit nicht schon am Anfang vorgebracht hast.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Schon mal vielen Dank für Eure Kommentare, die zeigen, dass es hier durchaus unterschiedliche Sichtweisen gibt.

Mir ist noch eine weitere Möglichkeit eingefallen:
Man führt zunächst mangelnde erf. Tätigkeit an und begründet diese (so ausführlich, wie man es für erforderlich hält, wie Gast schrieb), evtl. unter Auslassung der nur implizit offenbarten Merkmale der potentiell neuheitsschädlichen Schrift.

Dann kommt hintendrauf: "ohnehin ist der Gegenstand nicht neu, weil ...".

Dann hat man zumindest beide Einspruchsgründe drin und muss sich bei der Begründung zur erf. Tätigkeit nicht verkrampfen, weil die Neuheit noch nicht vorweggenommen wurde. In welcher Reihenfolge das Amt dann prüft, bleibt ihm ja überlassen ...
 
S

schorschi

Guest
Hierzu passt die T 131/01. Deren Leitsatz (http://legal.european-patent-office.org/dg3/biblio/t010131dp1.htm) lautet:

"Ist gegen ein Patent gemäß Artikel 100 a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber einem Dokument des Stands der Technik Einspruch eingelegt und der Einwand der mangelnden Neuheit gemäß Regel 55 c) EPÜ begründet worden, so ist eine gesonderte Begründung des Einwands der mangelnden erfinderischen Tätigkeit weder erforderlich - denn die Untersuchung der erfinderischen Tätigkeit setzt Neuheit voraus und die wird der Erfindung ja abgesprochen - noch überhaupt möglich, ohne daß ein Widerspruch zu den Argumenten entsteht, mit denen die mangelnde Neuheit begründet wurde.

In einem solchen Fall ist der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit kein neuer Einspruchsgrund und kann somit ohne das Einverständnis des Patentinhabers im Beschwerdeverfahren geprüft werden. "
 
U

u. n. own

Guest
@schorschi: Danke für den Hinweis auf diese sehr interessante Entscheidung!
 
G

GAST_DELETE

Guest
Bei der besagten Entscheidung T 131/01 gab es nur eine einzige Entgegenhaltung.
Das ist doch aber ein absoluter Spezialfall.

In der Praxis wird man Folgendes tun:

Die Neuheit mit einem Dokument angreifen (oder natürlich mit mehreren jeweils einzeln).

Anschließend die erfinderische Tätigkeit mit einer geeigneten Kombination von Dokumenten gemäß Aufgabe-Lösungs-Ansatz.

Da man dabei u.U. auf völlig verschiedene Dokumente zurückgreift, hat man selten Probleme mit der Logik.

Ich mache immer beides.
 
S

schorschi

Guest
Problematisch wird es jedoch, wenn ich mit D1 die Neuheit und gleichzeitig in Kombination mit D2 die erfinderische Tätigkeit eines Anspruches angreife. Dies ist nach bisheriger Rechtsauffassung nicht möglich. T 131/01 könnte dies jedoch ermöglichen bzw. aufweichen.

So könnte ich mit D1 die Neuheit von Anspruch 1 angreifen und D2 (u.a.) bei einem Unteranspruch als SdT gegen dessen erfinderische Tätigkeit vorbringen. D2 habe ich so bereits im Einspruchsverfahren und könnte später unter Hinweis auf T 131/01 auch gegen Anspruch 1 mangels erfinderischer Tätigkeit aufgrund Kombination D1+D2 vorgehen, wenn der Neuheitsangriff nicht durchkommt.

Was meint Ihr dazu?
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Wie ich den Leitsatz der Entscheidung verstehe, kann der Angriff der erfinderischen Tätigkeit dann aber erst im Beschwerdeverfahren stattfinden, wenn der Neuheitsangriff scheitert. Ich halte es allerdings für sehr ineffizient, ein neues Verfahren eröffnen zu müssen, wenn der zweite Einspruchsgrund eigentlich auch schon im ersten Verfahren hätte geprüft werden können.

So wie es das EPA aber offensichtlich sieht, darf ein Einspruch nicht auf beide Gründe gleichzeitig gestützt werden, zumindest was den selben Anspruch betrifft. Womöglich weisen sie den Einspruch dann sogar als unzulässig zurück?!
 
K

Kand.

Guest
Entschuldigung, aber was hier teilweise verbreitet bzw. in den Raum geschmissen wird ist meiner Ansicht nach Blödsinn.

Die zitierte Entscheidung bezieht sich auf einen parallelen Angriff gegen die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit aus einem einzigen Dokument heraus. Im übrigen wurden auch dort, was für zulässig befunden wurde, beide Angriffsmittel explizit angesprochen, jedoch aus Gründen der logischen Schlüssigkeit nur die fehlende Neuheit begründet. Mit diesem Vorbringen ist dann auch die fehlende erfinderische Tätigkeit als Einspruchsgrund - auch ohne nähere Substantiierung - zugelassen, sofern sich herausstellt, daß ein Merkmal doch neu im Hinblick auf den zitierten Stand der Technik war.

Es sind im Falle eines Angriffs aus mehreren Dokumenten jedoch immer alle Einspruchsgründe aufzuführen.

Insbesondere ist es bei dem diskutierten Fall sicher sinnvoll, zunächst die fehlende Neuheit aus Dokument D1 heraus anzugreifen. Weiter kann dann eine fehlende erfinderische Tätigkeit als Einspruchsgrund genannt werden, die sich ggfs. auf eine Kombination der Dokumente D2 und D1 stützt. Dies jedoch am besten ausgehend von D2, so daß die dort fehlenden Merkmale aus D1 genommen werden können.

Ich kann in einer solchen Begründung keine Widersprüche erkennen. Im übrigen kann auch beispielsweise der folgende Satz aus meiner Sicht nicht Schaden:

"Sollte Anspruch 1 - wider Erwarten - doch als neu gegenüber dem Dokument D1 angesehen werden, so kann er jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Lichte des in D1 offenbarten Stands der Technik beruhen."

Aus meiner Sicht schwächt dies den vorangegangenen Neuheitsangriff nicht.
 
R

Rudi

Guest
...m.b.M.n. ist zu beachten, daß es sich hier nur um eine T(XXXX/XX)
Entscheidung handelt. Eine andere Kammer kann das schon
wieder anders sehen. Um eine Bauchlandung zu vermeiden
hilft es - im Rahmen der anwaltlichen Vorsicht - immer
explizit beides anzugreifen...

Zwar gibt es ein paar T-Entscheidungen, z. B. Scherenkatalog, die
zur ständigen RSpr. des EPA gehören, aber die genannte
gehört meines Wissens nicht zwangsweise dazu.

Gruß,
R.
 
S

schorschi

Guest
Bekanntlich ist es in der EQE Teil C ein schwerwiegender Fehler, ein Dokument D1 gegen einen Anspruch sowohl gegen Neuheit (Art. 54 (2)/(3)) als auch gegen erfinderische Tätigkeit (Art. 56) zu verwenden. Dieser Fehler wird mit drastischem Punktabzug geahndet. Zumindest war das bisher, d.h. vor T 131/01, so.

Die Begründung hierfür findet sich z.B. im Leitsatz von T 131/01 oder ähnlich in G 1/95 Entscheidungsgründe 7.2 (Verweis auf G 7/95).

Mehr Gründe habe ich jedoch noch nicht finden können. Kennt Ihr Weitere?
 
G

grond

Guest
Rudi schrieb:
Um eine Bauchlandung zu vermeiden
hilft es - im Rahmen der anwaltlichen Vorsicht - immer
explizit beides anzugreifen...
Mal eine Gegenfrage: glaubt Ihr wirklich, dass ein Einspruch abgewiesen werden kann, weil man nur die erfinderische Tätigkeit aus D1 und D2 angegriffen hat, und die Einspruchsabteilung dann zu dem Entschluss kommt: "nö, D1 allein hätte schon die Neuheit widerlegt, daher ist die Argumentation gegen die erfinderische Tätigkeit nicht schlüssig, der Einspruch wird abgewiesen"? Wenn D1 die Neuheit widerlegt, widerlegt D1 + X automatisch auch die erfinderische Tätigkeit. Deshalb die bei uns kategorisch verfolgte Linie: angegriffen wird grundsätzlich nur die erfinderische Tätigkeit, niemals die Neuheit.
 
U

u. n. own

Guest
schorschi schrieb:
Bekanntlich ist es in der EQE Teil C ein schwerwiegender Fehler, ein Dokument D1 gegen einen Anspruch sowohl gegen Neuheit (Art. 54 (2)/(3)) als auch gegen erfinderische Tätigkeit (Art. 56) zu verwenden. Dieser Fehler wird mit drastischem Punktabzug geahndet.
Okay, aber das sind Prüfungsaufgaben, und was man in der Praxis vor sich hat, ist die Realität. Und da habe ich mehr als einen Fall gesehen, in dem man Neuheit aufgrund eines Dokuments mit implizit und explizit offenbarten Merkmalen angreifen konnte, aber nicht wusste, ob die Einspruchsabteilung einem die Argumentation bezüglich der impliziten Offenbarung abkauft. Wenn nein, dann blieb das Dokument aber immer noch relevant für die Ermittlung der erfinderischen Tätigkeit, da es einige Merkmale explizit enthielt und in Kombination mit anderen Dokumenten die Erfindung nahelegen konnte. Ich behaupte, dass man in einer solchen Situation (die, wenn ich Pat-Entes ursprüngliche Frage richtig verstanden habe, seiner Lage zumindest annähernd entspricht) praktisch nicht darum herumkommt, das entsprechende Dokument zur Begründung beider Einwände zu verwenden.

Dieses Vorgehen enthält meiner Meinung nach dann auch keinen logischen Fehler, da nur einer von beiden Einwänden letztlich "greifen" kann, die Frage, welcher das ist, jedoch von der Beurteilung der Offenbarung durch die Einspruchsabteilung abhängt. Und diese Beurteilung könnte - so verstehe ich Pat-Ente - durch die Tatsache, dass man beide Argumentationen vorbringt, in einer für den Einsprechenden negativen Weise beeinflusst werden. Aber ich sehe keinen Weg, dieses Risiko effektiv zu vermeiden.
 
E

Edmund

Guest
@ grond: im Speziallfall einer nachveröffentlichten aber neuheitsschädlichen Druckschrift kommt man um einen expliziten Neuheitsangriff wohl nicht umhin.

Ansonsten praktizieren wir unabhängig davon in unserer Kanzlei auch immer beide Angriffe.
 
Oben