Überprüfung der Prio im Verletzungsverfahren

Fip

*** KT-HERO ***
Grundsätzlich ist der Verletzer vor dem Verletzungsgericht von Einreden/Einwendungen (die Differenzierung spare ich mir hier) abgeschnitten, die er mit einer Nichtigkeitsklage geltend machen kann. Das Verletzungsgericht ist an die Rechtskraft der Erteilung gebunden etc. So weit, so gut. Nun folgender Fall:

Das Klagepatent des Klägers beansprucht die Priorität einer ausländischen Patentanmeldung des Klägers. Im Prioritätsintervall wurde eine weitere Patentanmeldung von einem unbeteiligten Dritten veröffentlicht, die nahe an den Schutzgegenstand des Klagepatents herankommt, und außerdem den Verletzungsgegenstand für den Fachmann nahe legt. Nun verletzt der Verletzungsgegenstand das Klagepatent äquivalent, aber nicht wortsinngemäß [all dies bitte hinnehmen].

Ich sage nun:
  • die Prio ist nicht wirksam (was sie tatsächlich nicht ist), der Zeitrang des Klagepatents liegt somit nach der Veröffentlichung der Patentanmeldung des Dritten. Diese bildet daher Stand der Technik für das Streitpatent.
  • der Verletzungsgegenstand ist für den Fachmann durch die Veröffentlichung der Patentanmeldung des Dritten am Anmeldetag des Streitpatents nahe gelegt gewesen.
  • ich befinde mich daher mit dem Verletzungsgegenstand im freien Stand der Technik (Formstein-Einwand), auf den sich der Schutzbereich des Klagepatents nicht erstreckt.
Kann das Verletzungsgericht nun die Wirksamkeit des Prioritätsanspruchs prüfen und darüber entscheiden oder muss dies im Wege der Nichtigkeitsklage entschieden werden (die der Mandant nicht einlegen will)?
 

Fip

*** KT-HERO ***
Ergänzung: Überprüfung der Prio im Verletzungsverfahren

Hinzuzufügen ist noch, dass die Patentanmeldung des Dritten im Erteilungsverfahren des Klagepatents zu keiner Zeit berücksichtigt wurde.
 

grond

*** KT-HERO ***
Wenn das Klagepatent zuunrecht eine Prio inanspruch nimmt und dadurch eine Vorveröffentlichung im nicht mehr zuzugestehenden Priojahr das Patent nichtig macht, dann bist Du doch keinerlei Möglichkeiten beraubt und kannst eine Nichtigkeitsklage starten. Demzufolge dürftest Du den Einwand auch nicht im Verletzungsstreit bringen können, denn die diesbezüglichen Regeln entstammen ja dem Gedanken der Verfahrensökonomie, dass sich das Verletzungsgericht nicht auch noch einmal mit den Fragen der Bestandskraft des Schutzrechtes herumschlagen müssen soll, wenn es doch dafür eigene Rechtswege gibt.
 

Fip

*** KT-HERO ***
grond schrieb:
Wenn das Klagepatent zuunrecht eine Prio inanspruch nimmt und dadurch eine Vorveröffentlichung im nicht mehr zuzugestehenden Priojahr das Patent nichtig macht, dann bist Du doch keinerlei Möglichkeiten beraubt und kannst eine Nichtigkeitsklage starten.
Richtig, nur das der Mandant das nicht will und die Sache nicht eindeutig ist (das mit der Prio schon, aber nicht die Frage der Nichtigkeit). Er scheut das Kostenrisiko und will die hohen Gerichtskosten nicht zahlen.

grond schrieb:
Demzufolge dürftest Du den Einwand auch nicht im Verletzungsstreit bringen können, denn die diesbezüglichen Regeln entstammen ja dem Gedanken der Verfahrensökonomie, dass sich das Verletzungsgericht nicht auch noch einmal mit den Fragen der Bestandskraft des Schutzrechtes herumschlagen müssen soll, wenn es doch dafür eigene Rechtswege gibt.
Hier liegt glaube ich ein Mißverständnis vor. Ich greife mit dem Formsteineinwand ja nicht die Bestandskraft des Klagepatentes an. Ich sage damit ja eben nicht, dass der Gegenstand des Klagepatentes sich in nahe liegender Weise ergibt, sondern ich sage nur, dass der Schutzbereich des Klagepatents den Verletzungsgegenstand nicht (äquivalent) erfaßt, weil dieser (der Verletzungsgegenstand) sich für den Fachmann in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Die Nichtigkeit des Klagepatentes mache ich gar nicht geltend.

Im Grunde müßte ich eine Klage einreichen, mit der ich die Feststellung begehre, dass die Prio nicht wirksam ist. Dieses Klagebegehren (für sich genommen) oder der Einwand des freien Standes der Technik haben aber im Nichtigkeitsverfahren nichts verloren. Es kann doch nicht sein, dass ich Nichtigkeitsklage einzureichen habe, wenn mich die Bestandskraft des Klagepatentes gar nicht interessiert bzw. ich diese gar nicht anzweifle, nur um eine gerichtliche Feststellung über die Wirksamkeit der Prio zu erhalten. Im Zweifel entscheided das BPatG dann noch nach dem Motto, die Frage der Prio könne dahinstehen, weil das Patent selbst ohne wirksame Prio rechtsbeständig sei. Und was dann? Soll ich dann noch in die Berufung zum BGH?
 

grond

*** KT-HERO ***
Fip schrieb:
Hier liegt glaube ich ein Mißverständnis vor. Ich greife mit dem Formsteineinwand ja nicht die Bestandskraft des Klagepatentes an. Ich sage damit ja eben nicht, dass der Gegenstand des Klagepatentes sich in nahe liegender Weise ergibt, sondern ich sage nur, dass der Schutzbereich des Klagepatents den Verletzungsgegenstand nicht (äquivalent) erfaßt, weil dieser (der Verletzungsgegenstand) sich für den Fachmann in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Die Nichtigkeit des Klagepatentes mache ich gar nicht geltend.
Hm, wenn man sich mit einem Formsteineinwand verteidigt, der nur greifen kann, wenn zwischenveröffentlichter Stand der Technik zu berücksichtigen ist, sollte man vielleicht eh gleich in Vergleichsverhandlungen überleiten. Schon der normale Formsteineinwand ist ein extrem schwaches Verteidigungsmittel und wirklich das letzte, das man nutzen sollte. Letztlich argumentiert man dabei doch selbst, dass man das Klagepatent verletzt, gleichzeitig aber die Verletzungsform in den Äquivalenzbereich des SdT zu rechnen ist. Aber okay, das wolltest Du nicht hören.

Ich verstehe Deine Frage, kann Dir aber keine Antwort geben. Vom Gefühl her sollte die Klärung der Priorität eines Anspruchs eigentlich Frage des Verletzungsverfahrens sein.


Im Grunde müßte ich eine Klage einreichen, mit der ich die Feststellung begehre, dass die Prio nicht wirksam ist. Dieses Klagebegehren (für sich genommen) oder der Einwand des freien Standes der Technik haben aber im Nichtigkeitsverfahren nichts verloren. Es kann doch nicht sein, dass ich Nichtigkeitsklage einzureichen habe, wenn mich die Bestandskraft des Klagepatentes gar nicht interessiert bzw. ich diese gar nicht anzweifle, nur um eine gerichtliche Feststellung über die Wirksamkeit der Prio zu erhalten.
Nein, tatsächlich nicht, da dies auch kein zulässiger Grund für eine Nichtigkeitsklage wäre (siehe §21, 22 PatG).
 

Horst

*** KT-HERO ***
Ich verstehe Deine Frage, kann Dir aber keine Antwort geben. Vom Gefühl her sollte die Klärung der Priorität eines Anspruchs eigentlich Frage des Verletzungsverfahrens sein.
Ich denke das ist juristisches Neuland. Meines Erachtens werden die Richter am Zivigericht bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Prioinanspruchnahme zunächst aufheulen und die Finger davon lassen, weil sie meinen, sie seien nicht zuständig.

Bleibt zu überdenken, ob man diese Frage im Rahmen einer Feststellungsklage vorher isoliert klären lassen kann. Weiß das jemand? Richtet man eine solche Klage an das BPatG, werden die sie wohl mangels Statthaftigkeit verwerfen. Es gibt meines Wissens also keine Möglichkeit.

Bezgl. Überprüfung durch Zivilrichter wird man sich überlegen müssen, inwieweit das "Verletzungspatent" als gegeben hinzunehmen ist. M.E. soweit wie es der Prüfung durch das DPMA bzw. BPatG unterliegt. Da die Wirksamkeit der Prio nicht von Amts wegen geprüft wird, ist die Prio m.E. durch das Zivilgericht nicht als gegeben hinzunehmen, sondern in diesem Fall zu prüfen!

Also meine Meinung: Ja, im Verletzungsverfahren wäre die Prio zu prüfen.

Für Diskussionsbeiträge wäre ich ebenfalls dankbar. Das Thema scheint mal ziemlich interessant.
 

Horst

*** KT-HERO ***
Noch eine Ergänzung:

Selbst wenn man Nichtigkeitsklage erhebt, gibt einem das keine Sicherheit darüber, einen Ausspruch zur Prio zu bekommen. Vielleicht lautet die Begründung ja, dass das Patent selbst bei Unterstellung einer unwirksamen Prio aufrechtzuerhalten wäre.
 
Horst schrieb:
Ich verstehe Deine Frage, kann Dir aber keine Antwort geben. Vom Gefühl her sollte die Klärung der Priorität eines Anspruchs eigentlich Frage des Verletzungsverfahrens sein.
Ich denke das ist juristisches Neuland. Meines Erachtens werden die Richter am Zivigericht bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Prioinanspruchnahme zunächst aufheulen und die Finger davon lassen, weil sie meinen, sie seien nicht zuständig.

Bleibt zu überdenken, ob man diese Frage im Rahmen einer Feststellungsklage vorher isoliert klären lassen kann. Weiß das jemand? Richtet man eine solche Klage an das BPatG, werden die sie wohl mangels Statthaftigkeit verwerfen. Es gibt meines Wissens also keine Möglichkeit.

Bezgl. Überprüfung durch Zivilrichter wird man sich überlegen müssen, inwieweit das "Verletzungspatent" als gegeben hinzunehmen ist. M.E. soweit wie es der Prüfung durch das DPMA bzw. BPatG unterliegt. Da die Wirksamkeit der Prio nicht von Amts wegen geprüft wird, ist die Prio m.E. durch das Zivilgericht nicht als gegeben hinzunehmen, sondern in diesem Fall zu prüfen!

Also meine Meinung: Ja, im Verletzungsverfahren wäre die Prio zu prüfen.

Für Diskussionsbeiträge wäre ich ebenfalls dankbar. Das Thema scheint mal ziemlich interessant.
Sind wir im Gebrauchsmusterverletzungsverfahren???

Soweit ich mich erinnere, kann im Patentverletzungsverfahren die Rechtsbeständigkeit eines in Kraft stehenden Patentes durch das Verletzungsgericht nicht in Frage gestellt werden. Wo kämen wir denn da hin?

Die Prioritätsfrage ist doch m.E. eine klassische Frage der Patentfähigkeit, meisten Neuheit, welche in einem Nichtigkeitsverfahren zu klären wäre.
 

grond

*** KT-HERO ***
Horst schrieb:
Ich denke das ist juristisches Neuland. Meines Erachtens werden die Richter am Zivigericht bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Prioinanspruchnahme zunächst aufheulen und die Finger davon lassen, weil sie meinen, sie seien nicht zuständig.
Ich habe gestern noch etwas weitergegrübelt. Eigentlich dürfte die Prüfung einer Priorität nichts allzu Ungewöhnliches im Verletzungsverfahren sein, denn es kann schließlich regelmäßig passieren, dass neue Ausgestaltungen, die z.B. von Unteransprüchen erfasst werden, erst in einer Prionachanmeldung in die Anmeldung und damit ins Patent einfließen. Und dass unterschiedliche Ansprüche einer Anmeldung unterschiedliche Zeitränge genießen können, ist ein Allgemeinplatz. Also müssten sich Verletzungsgerichte z.B. schon im Rahmen von Vorbenutzungsrechten mit dem Zeitrang einzelner Ansprüche auseinanderzusetzen haben. Dies ist auch keine Frage einer Nichtigkeitsklage, da die Vorbenutzung ja z.B. ein Verfahren im eigenen Betrieb betreffen kann, also kein neuheitsschädlicher Stand der Technik für das (Verfahrens)Patent geschaffen wurde.
 

grond

*** KT-HERO ***
VorDerArbeitReiter schrieb:
Die Prioritätsfrage ist doch m.E. eine klassische Frage der Patentfähigkeit, meisten Neuheit, welche in einem Nichtigkeitsverfahren zu klären wäre.
Wieso sollte sie Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens sein? Das doch allein, wenn im Priojahr SdT aufgetaucht ist, der dem Patent entgegenstünde. Wie ist das aber bei einem SdT, in dessen Äquivalenzbereich man sich gerne per Formsteineinwand zurückziehen möchte und der dem Patent eben gerade nicht entgegenstehen soll? Wie ist das bei einer im Priojahr aufgenommenen Benutzung, die ein Weiterbenutzungsrecht begründen soll? Das hat alles nichts mit Nichtigkeit zu tun, sind aber berechtigte Einwände im Verletzungsverfahren. Also m.E. dort auch zu prüfen.
 
Oben