EPÜ Regel 44 völlig unverständlich (Einheitlichkeit der Erfindung)

Marc N. Zeichen

*** KT-HERO ***
Hi Forum,

kann mir eventuell jemand die EPÜ Regel 44 erklären, da ich leider nichts von dem verstehe, was dort (insbesondere im zweiten Satz) drin steht:
Regel 44
Einheitlichkeit der Erfindung


(1) Wird in einer europäischen Patentanmeldung eine Gruppe von Erfindungen beansprucht, so ist das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nach Artikel 82 nur erfüllt, wenn zwischen diesen Erfindungen ein technischer Zusammenhang besteht, der in einem oder mehreren gleichen oder entsprechenden besonderen technischen Merkmalen zum Ausdruck kommt.

Unter dem Begriff "besondere technische Merkmale" sind diejenigen technischen Merkmale zu verstehen, die einen Beitrag jeder beanspruchten Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik bestimmen.
Sprich, sind mehrere Erfindungen in der Anmeldung enthalten, dann müssen erstmal in jeder der enthaltenen Erfindungen Merkmale enthalten sein, die "gleich" oder "einander entsprechend" sind.

Zusätzlich muss es sich dabei jedoch um sog. "besondere technische Merkmale" handeln, die "einen Beitrag jeder beanspruchten Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik bestimmen".

Hier verstehe ich jetzt wirklich kein Wort mehr. Erstens mal müsste es m.E. heißen "einen Beitrag liefern" und nicht "einen Beitrag bestimmen". Ich meine, was soll "einen Beitrag bestimmen" denn bitte heißen...?

Aber auch wenn man den Satz dementsprechend korrigiert liest als
Unter dem Begriff "besondere technische Merkmale" sind diejenigen technischen Merkmale zu verstehen, die einen Beitrag jeder beanspruchten Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik liefern.
... verstehe ich nicht, was "ein Beitrag jeder beanspruchten Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik" sein soll. Und "Beitrag zum Stand der Technik" ist ja wohl total falsch. Denn was bitte ist ein Beitrag einer Erfindung zum Stand der Technik...?

Auf Englisch lautet der entsprechende, ansonsten wörtlich gleiche Passus aus dem PCT dann auch wie folgt:
The expression "special technical features" shall mean those technical features that define a contribution which each of the claimed inventions, considered as a whole, makes over (sic!) the prior art.
Hier ist festzustellen, dass der Übersetzer oder Verfasser des deutschen EPÜ diesen Passus offenbar selber in keinster Weise verstanden hat. Denn offenbar muss der obige problematische Satz korrekt aus dem Englischen übersetzt heißen:
Unter dem Begriff "besondere technische Merkmale" sind diejenigen technischen Merkmale zu verstehen, die einen Beitrag definieren, den jede der beanspruchten Erfindungen als Ganzes betrachtet gegenüber dem Stand der Technik liefert.
Diesen Satz verstehe ich aber leider immer noch ebenso wenig, und hoffe daher, dass es nicht allen Lesern dieses Threads genauso geht...

Vielen Dank schonmal für jede Aufhellung oder gar Erleuchtung in dieser Frage,

Grüße Marc.
 

mad_muc

SILBER - Mitglied
Hallo,

nur mal eine Teilantwort, da ich das u.g. Dokument erst kürzlich studiert habe:

einen Beitrag zum Stand der Technik liefert alles was veröffentlicht wird, da es ja dann (danach) zum SdT zählt. Ich kenne diese Formulierung auch z.B. aus

"Prüfung computerimplementierter Erfindungen im Europäischen Patentamt unter besonderer Berücksichtigung computerimplementierter Geschäftsmethoden" in OJ 2007/11

http://www.european-patent-office.org/epo/pubs/oj007/11_07/11_5947.pdf

Und so wie ich das verstehe, meint "[...] diejenigen technischen Merkmale zu verstehen, die einen Beitrag jeder beanspruchten Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik bestimmen." halt die Merkmale, die neu sind, weil sie mit der Veröffentlichung ein Teil des SdT werden.

Soll heißen, diese Merkmale bestimmen, welchen Beitrag die Erfindung zum SdT leistet.

P.S.: In dem o.g. PDF wird die Formulierung auch mit "over" übersetzt... andere Länder andere Sitten....

Hoffe das hilft weiter... das andere ist mir auch nicht so sofort klar...
 

grond

*** KT-HERO ***
Marc N. Zeichen schrieb:
Zusätzlich muss es sich dabei jedoch um sog. "besondere technische Merkmale" handeln, die "einen Beitrag jeder beanspruchten Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik bestimmen".
Ich verstehe das so, dass die verbindende Idee oder der verbindende Beitrag ein wesentliches und kennzeichnendes Merkmal sein muss, also nicht dem Oberbegriff entnommen (bzw. zugehörig) sein darf. Es ist also nicht möglich, drei alternative Lösungen zum selben Problem in einer Anmeldung zu beanspruchen (Ausnahme: das Problem war unbekannt), weil dann alle Lösungen zwar viele gemeinsame Merkmale hätten (nämlich die des Oberbegriffs), aber unterschiedliche kennzeichnende Merkmale.
 

Alex:jura

*** KT-HERO ***
ich verstehe das so, dass das verbindende Merkmal ein technisches Merkmal sein muss. D. h. das gemeinsame Merkmal "rote Farbe" reicht nicht aus.

Ob das Merkmal aus dem Kennzeichen oder Oberbegriff kommt ist unerheblich, da die zweiteilige Anspruchsform nur den internen Stand der Technik des Anmelders/Schreibers widerspiegelt und dem Prüfer die Arbeit erleichtern soll.

LG
Alex
 

Marc N. Zeichen

*** KT-HERO ***
Also danke erstmal fürs Mitdenken und für die hilfreichen Antworten. Ich denke, dass v.a. grond schon ziemlich nah dran war.

Nach einiger Recherche scheint sich mir die Sache mit der Einheitlichkeit nun folgendermaßen darzustellen.

Erstens muss die Beurteilung der Einheitlichkeit stets a posteriori erfolgen (W4/96, G 1/89). Dies bedeutet, dass die Einheitlichkeit sich nicht alleine angesichts der Anmeldung, sondern erst anhand Anwendung des Problem-Solution-Approach gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik beurteilen lässt.

Und das geht so:
  • nächstliegenden Stand der Technik ermitteln
  • Merkmalsüberschuss der einzelnen Ansprüche/Teilerfindungen gegenüber dem nSDT feststellen
  • mit dem Merkmalsüberschuss verbundene technische Effekte ermitteln
  • mit den technischen Effekten verbundene objektive Aufgabe der einzelnen Ansprüche/Teilerfindungen feststellen
So, liegt nun bei den einzelnen Ansprüchen/Teilerfindungen ein jeweils unterschiedlicher Merkmalsüberschuss bzw. liegen jeweils unterschiedliche objektive Aufgaben gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik vor, dann ist die Anmeldung nicht einheitlich.

Regel 44 EPÜ kann gegenüber der m.E. völlig unverständlichen derzeitigen Form also etwa wie folgt umgeschrieben werden:
Regel 44
Einheitlichkeit der Erfindung


(1) Wird in einer europäischen Patentanmeldung eine Gruppe von Erfindungen beansprucht, so ist das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nach Artikel 82 nur erfüllt, wenn zwischen diesen Erfindungen ein technischer Zusammenhang besteht. Der technische Zusammenhang muss dabei in in Form eines den Erfindungen gemeinsamen neuen technischen Merkmals, einer den Erfindungen gemeinsamen neuen Wirkung bzw. in Form einer den Erfindungen gemeinsamen objektiven Aufgabe zum Ausdruck kommen.

Gemeinsame technische Merkmale, Wirkungen bzw. objektive Aufgaben erfüllen das Erfordernis der Einheitlichkeit dann, wenn sie einen den Erfindungen gemeinsamen Beitrag gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik liefern.
Grüße Marc.
 

upupa

GOLD - Mitglied
Vielleicht wäre Regel 44 so zu verstehen:

Einheitlichkeit der Erfindung

(1) Wird in einer europäischen Patentanmeldung eine Gruppe von Erfindungen beansprucht, so ist das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nach Artikel 82 nur erfüllt, wenn alle diese Erfindungen mindestens ein gleiches oder entsprechendes besonderes technisches Merkmal aufweisen.

Unter dem Begriff "besonderes technisches Merkmal" ist ein technisches Merkmal zu verstehen, welches die beanspruchten Erfindungen vom Stand der Technik abgrenzt.
 
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