'could-would'-Argument vor dem DPMA

Ah-No Nym

*** KT-HERO ***
Hallo,

hat jemand von euch schon mal erfolgreich das could-would-Argument vor dem DPMA angewendet?

Den problem-solution-Ansatz schlucken ja inzwischen viele Prüfer, was ja auch sinnvoll ist... aber wird auch akzeptiert, dass der Fachmann zwar die Druckschriften grundsätzlich kombinieren könnte, um zur erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen, dies aber aus speziellen Gründen nicht tun würde?

Oder vertritt das DPMA hier die sture Auffassung: D1 zeigt Merkmal A, D2 zeigt Merkmal B, also ist Kombination nahegelegt...

Infos über eure Erfahrungen wären nett ...

Grüße

Ah-No Nym
 

spat

Schreiber
Hallo,

meiner Erfahrung nach trifft bei DPMA und BPatG die sture Auffassung zu.

Man kann dem problem-solution approach beim EPA ja unterschiedlich gegenüber eingestellt sein. Die Anwendung macht EPA-Entscheidungen aber irgendwie vorhersehbarer als beim DPMA, und eine rückschauende Betrachtungsweise wird durch den problem-solution approach gut vermieden.

Lasse mich aber gern eines Besseren belehren.

Grüße
 

arcd007

*** KT-HERO ***
Der problem-solution-approach basiert auf rückschauender Betrachtungsweise. Wie sonst könnte man die "objektiv-technische Aufgabe" formulieren?
 

spat

Schreiber
@arcd007:

Nee, s. z.B. Guidelines Part C, Ch. IV., 11.9.2: ex post facto Analyse soll vermieden werden.
Scheint mir bei DPMA, BPatG in der Praxis leider nicht so wichtig zu sein.
Grüße
 

arcd007

*** KT-HERO ***
Hi,

>Nee, s. z.B. Guidelines Part C, Ch. IV., 11.9.2: ex post facto Analyse soll vermieden werden.

Das ist nicht das was ich meine.

Die objektiv-technische Aufgabe wird in Kenntnis der Erfindung formuliert, indem der Unterschied zwischen SdT und Erfindung herausgearbeitet wird und dann die Wirkung bzw. der Effekt festgestellt wird.

Schon allein das ist rückschauende Betrachtungsweise und das ist systemimmanent. Der Fachmann hatte ja zum Zeitpunkt der Erfindung genau dieses nicht. Er hatte den Stand der Technik, den er ggf. zu verbessern suchte und kannte auch ggf. den Stand der Technik gar nicht (vollständig), von dem nun ausgehend die obj. technische Aufgabe formuliert wird.

Diese Herangehensweise ist zwar stark formalisiert und damit ggf. leichter nachvollziehbar, ist aber auch m. E. fehleranfälliger als die Herangehensweise des DPMA/BPatG und produziert ggf. einfacher "Erfindungen", die das DPMA/BPatG als naheliegend ansehen würde.

Ex-post-facto-Analyse hat nichts mit rückschauender Betrachtungsweise zu tun, ex-post-facto-Analyse heißt nur, daß das beliebige Zusammensuchen von Merkmalen der Erfindung aus verschiedenen Schriften, nicht zulässig ist; das macht m.E. auch das DPMA/BPatG nicht...

just my 2 cents...
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Sieben Jahre später -- wie sieht es aus mit dem Could-Would-Argument vor dem DPMA?

Kann man das Argument inzwischen bringen?

Grüße
Kurt
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Offenbar bedingt ja, vgl. Benkard XI 2015, PatG §4 Rn.95.

Dort steht sinngemäß, dass der Fachmann in der Regel zusätzlicher über die Erfindungsaufgabe hinausgehender Anregungen bedarf, beispielsweise [sic] ausdrückliche Hinweise im Stand der Technik.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Ich habe letztens einen Fall (Einspruchsbeschwerde) vor dem BPatG erlebt, in dem es dem Gericht sehr wichtig war zu diskutieren, welchen Anlass der Fachmann hatte, die vorliegenden Dokumente zu kombinieren, um zum Anspruchsgegenstand zu gelangen. Sie haben das nicht could-would genannt, aber ich habe es schon in diese Richtung interpretiert.

Da die Auffassungen des BPatG in der Regel früher oder später auch ins DPMA einsickern, sollte das als Argument schon gehört werden.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Das "could-would" Argument hat doch längst Eingang in die ständige Rechtsprechung gefunden. Der BGH ist zwar nicht so begeistert von dem starren "Problem-Solution-Approach" (vgl. nur beispielhaft BGH Entscheidung "Fischbissanzeiger"), aber legt dafür umso mehr Wert auf die Frage, ob der Fachmann Veranlassung hatte, ausgehend von einer bestimmten Lehre des Standes der Technik Weiterentwicklungen in eine bestimmte Richtung vorzunehmen bzw. sich Aufgaben zu stellen, aufgrund derer anzunehmen ist, dass er sich dann mit einem anderen Stand der Technik befassen würde. Das durchzieht fast alle BGH Entscheidungen der letzten Jahre, in denen es um die Erfindungshöhe geht.


Einen nennenswerten Unterschied zwischen "Could-Would" und der Frage nach der Veranlassung des Fachmanns sehe ich ehrlich gesagt nicht.


In sofern stellt sich nicht die Frage, ob man das Argument schon bringen kann. Man muss es bringen, weil es längst essentiell für die Frage des Naheliegens geworden ist.
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Das entscheidende Wörtchen beim EPA ist ja nicht "Veranlassung", sondern "Veranlassung im Stand der Technik".

5.3 "Could/would approach"

In der dritten Phase gilt es zu klären, ob sich im [vorliegenden] Stand der Technik insgesamt eine Lehre findet, die den mit der objektiven technischen Aufgabe befassten Fachmann veranlassen würde (nicht nur könnte, sondern würde), den nächstliegenden Stand der Technik unter Berücksichtigung dieser Lehre zu ändern oder anzupassen und somit zu etwas zu gelangen, was unter den Patentanspruch fällt, und das zu erreichen, was mit der Erfindung erreicht wird (siehe G‑VII, 4).

Mit anderen Worten geht es nicht darum, ob der Fachmann durch eine Änderung oder Anpassung des nächstliegenden Stands der Technik zu der Erfindung hätte gelangen können, sondern darum, ob er tatsächlich dahin gelangt wäre, weil der [vorliegende] Stand der Technik ihn dazu veranlasste in der Hoffnung, dadurch die objektive technische Aufgabe zu lösen, bzw. in der Erwartung, eine Verbesserung oder einen Vorteil zu erzielen (siehe T 2/83).

Und so deutlich ist die deutsche Rechtsprechung halt leider noch nicht geworden.
 

Fip

*** KT-HERO ***
@Kurt: Ich verstehe die Differenzierung, die Du da machst, ehrlich gesagt nicht.


Dort steht "im Stand der Technik insgesamt". Das heißt doch nichts anderes, als dass es überhaupt ein Veranlassung geben muss, denn der Stand der Technik "insgesamt" ist alles, was dem Wissen des Fachmanns an dem für den Zeitrang maßgeblichen Tag zugerechnet werden kann. Das schließt neben einer konkreten im Verfahren befindlichen Entgegenhaltung doch auch das allgemeine Fachwissen ein, da auch dieses ja notgedrungen "Stand der Technik" ist bzw. hierauf zurückzuführen ist.


Dass der "vorliegende" Stand der Technik den Fachmann veranlassen muss, bedeutet doch lediglich, dass eine anzunehmende Veranlassung nicht ins Blaue hinein behauptet werden kann, sondern dass es belastbarer Anhaltspunkte für eine derartige Annahme bedarf.


Einen Unterschied zu der BGH Rechtsprechung sehe ich nicht, wenn man mal von der Festlegung des EPAs auf einen "nächstliegenden" Stand der Technik absieht, die der BGH so nicht kennt. Und wenn man mal hinterfragt, warum der "Problem-Solution-Approach" mit "nächstliegendem" Stand der Technik so entwickelt wurde, dann ist diese Festlegung auch alles andere als korrekt (was übrigens selbst Beschwerdekammern so sehen), nur davon wollen die EPA-Prüfer nie etwas wissen, weil sie sich das Leben gerne einfach machen.
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Naja vor dem EPA gibt es halt die geradlinige Argumentation, hier ist der nächstliegende Stand der Technik A, der in Kombination mit der weiteren Druckschrift B zwar alle Merkmale des Patentanspruchs offenbart. Es fehlt aber in allen vorliegenden Druckschriften eine Veranlassung für den Fachmann, Druckschrift B tatsächlich heranzuziehen und so zum Gegenstand der Erfindung zu gelangen. Der Fachmann konnte Druckschrift B somit zwar heranziehen, aber er würde sie nicht herangezogen haben.
 
Zuletzt bearbeitet:

Fip

*** KT-HERO ***
Das macht der BGH doch genauso, nur dass man sich dort nicht starr auf den "nächstliegenden" Stand der Technik festlegt, sondern (meiner Meinung nach zu Recht) davon ausgeht, dass man ein derartig gesetzesfremdes - sprich im EPÜ schlicht nicht vorgesehenes - Konstrukt nicht auf so starre Weise heranziehen darf.


Dem Gesetz nach ist etwas ist dann nicht erfinderisch, wenn es für den Fachmann ausgehend vom Stand der Technik naheliegend war. Von einem "nächstliegenden" Stand der Technik steht schlicht nichts im EPÜ. Eigentlich müsste man - folgt man streng dem Gesetz - das Naheliegen einer Erfindung ausgehend von jedem Stand der Technik prüfen, egal wie weit der von der Erfindung weg ist. Das ist aber natürlich nur schwer zu leisten.


Der "nächstliegende" Stand der Technik hat in diesem Zusammenhang seinen Sinn letztlich nur darin, dass er in gewisser Weise einen Ansatz zur Erleichterung der Beweisführung leisten soll. Der Gedanke ist, dass dann, wenn sich eine Erfindung ausgehend von dem nächstliegenden Stand der Technik als nicht naheliegend erweist, sich die Erfindung ausgehend von einem weiter entfernt liegenden Stand der Technik erst recht nicht als naheliegend erweisen wird. Sprich: Wenn ich aus einem Meter Entfernung nicht ins Ziel springen kann, dann schaffe ich es aus zwei Metern Entfernung erst recht nicht. So kann man sich weitere "Prüfungen" sparen.


Aber dieser "Erst-Recht-Schluss" ist nicht selten ein Trugschluss, weil oft auch Stand der Technik, der nach den Kriterien des EPA nicht als "nächstliegender" zu klassifizieren ist, Anregungen bzw. Veranlassungen liefert, die den Fachmann basierend auf nachvollziehbaren, fachmännischen Überlegungen durchaus in naheliegender Weise zur Erfindung führen können.


Für mich ist der Ansatz des EPA daher nicht gradlinig, sondern schlicht bequem. Er ist an dem Bedürfnis einer möglichst einfachen Argumentationführung zur Erledigung einer Vielzahl von Fällen ausgerichtet. Man will sich beim EPA auf einen formellen, einfach durchzuführenden Prüfungsansatz zurückziehen, um so aufwendigere fachmännische Überlegungen vermeiden zu können.
 

6to5

BRONZE - Mitglied
Ich habe eigentlich noch keine ernsthaften Diskussionen um die Wahl des nächstliegenden Standes der Technik erlebt. Tödlich ist meist viel eher die Diskussion, weshalb der Fachmann angesichts eines natürlich nur in den schillerndsten Farben geschilderten Standes der Technik (=ältere Patentanmeldung, die sich meist zu ungelösten Problemen ausschweigt) überhaupt tätig werden sollte. Darüber habe ich mich kürzlich mehrfach in Einspruchsverhandlungen ärgern müssen, dass selbst platteste Trivialitäten (und ich bin einiges gewohnt) irgendwie durch den Stand der Technik angeregt werden müssen. Die Einspruchsabteilung wollte Anregungen aus dem Grundwissen des Fachmanns offenbar überhaupt nicht berücksichtigen, es zählten nur solche aus dem nSdT selbst. Auf diese Weise kann man natürlich fast nie zum Ziel kommen. Umgekehrt zählt dann aber auch nicht die Gegenfrage, welchen erfinderischen Effekt der minimale Unterschied denn eigentlich noch haben soll. Das triviale Merkmal wollten sie dann aber auch nicht als kennzeichnenden Teil in dem neugefassten Anspruch haben, das sah ihnen dann doch zu peinlich aus und sie haben sich mit "ganzheitlichen Anspruchsgegenstand" oder so herausgeredet. Einsprüche beim EPA sind halt so eine Sache für sich...
 

Nonius

Schreiber
Der BGH bezieht bzw. verweist in der Entscheidung "Elektronisches Modul" (GRUR 2005, 145) auf den Could-Would-Appr. des EPA.

"Das spricht gegen die Annahme, daß es für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt in dem Sinn naheliegend war, zur verteidigten Lösung des Streitpatents zu gelangen, daß er (im Sinn des in der Praxis insbesondere des Europäischen Patentamts entwickelten "could-would"-Ansatzes; vgl. etwa Benkard, EPÜ, 2002, Art. 56 Rdn. 60; Kroher in Singer/Stauder, EPÜ, 2. Aufl. 2000, Art. 56 Rdn. 58 ff.) die Lösung nicht nur hätte finden können, sondern auch tatsächlich vorgeschlagen hätte."
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Danke Fip -- aber ich finde dort zum Stichwort "Veranlassung" nur etwas zur Auswahl des nächstliegenden SdT

Dieser Gedankengang des BGH widerspricht dem could-would-approach fundamental. Es ist jetzt erforderlich, eine Veranlassung anzugeben, warum der Fachmann für die Lösung "des Problems" einen bestimmten SdT als nächstliegenden SdT ("Ausgangspunkt", sagt der BGH) herangezogen hätte. Ja Moment mal - zur Lösung welches Problems eigentlich? Nach could-would-approach wird das zu lösende Problem auf Grund des nächstliegenden SdT bestimmt. Bevor man diesen nicht hat, kennt man das Problem gar nicht, und kann auch keinerlei "Veranlassungen" angeben.

Die Frage wäre also nun, wie bei dieser BGH-Doktrin das Problem bestimmt wird, ohne den nächstliegenden SdT zu kennen. Wie zu erwarten, schweigt sich der BGH dazu aus. Da könnte er ja Schwierigkeiten bekommen.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Ich muss gestehen, dass ich nach Asdevis Einwand auch zunehmend hinterfrage, was der BGH da eigentlich genau macht. In Rn. 43 wird ausgeführt:

[FONT=&quot]Die - allenfalls aus rückschauender Sicht mögliche - Einordnung eines[/FONT][FONT=&quot]bestimmten Ausgangspunkts als "nächstkommender" Stand der Technik ist [/FONT][FONT=&quot]hierfür weder ausreichend (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07,[/FONT][FONT=&quot]BGHZ 179, 168 = GRUR 2009, 382 Rn. 51 - Olanzapin) noch erforderlich[/FONT][FONT=&quot](BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 - Xa ZR 138/05, GRUR 2009, 1039 Rn. 20 -[/FONT][FONT=&quot]Fischbissanzeiger). Vielmehr bedarf es konkreter Umstände, die dem Fachmann im Prioritätszeitpunkt Veranlassung gaben, eine bestimmte Entgegenhaltung oder Vorbenutzung als Ausgangspunkt seiner Überlegungen heranzuziehen. Diese Rechtfertigung liegt in der Regel in dem Bemühen des Fachmanns, [/FONT][FONT=&quot]für einen bestimmten Zweck eine bessere oder andere Lösung zu finden, als[/FONT][FONT=&quot] sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt (BGHZ 179, 168 = GRUR 2009,[/FONT][FONT=&quot]382 Rn. 51 - Olanzapin).

Es gibt also einen [/FONT]
[FONT=&quot]BGH-[/FONT][FONT=&quot]Ausgangspunkt, für dessen Heranziehen es einer Veranlassung bedarf. Diese kann darin gesehen werden, dass der Fachmann bemüht ist, eine bessere Lösung zu finden als die, die der BGH-Stand der Technikoffenbart.

Also geht der Fachmann danach vom einem Stand der Technik aus, um einen Ausgangspunkt zu finden. Ist dann nicht der BGH-Stand der Technik der eigentliche Ausgangspunkt (im besten EPA Sinne der nächstliegende Stand der Technik als Ausgangspunkt im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes) und der vom BGH bezeichnete BGH-Ausgangspunkt der dem BGH-Stand der Technik (dem eigentlich Ausgangspunkt) aufgrund eines objektiven Problems hinzugezogene Stand der Technik, für dessen Hinzuziehen es der Veranlassung bedarf? Wird hier der Begriff "Ausgangspunkt" vom BGH vielleicht mißverständlich verwendet?[/FONT]
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Hier einmal eine vor dem EPA aufgetauchte Frage hinsichtlich Could-Would-Approach (und Problem-Solution-Approach):

RiLi G IV 5.3 – "Could/would approach"

In der dritten Phase gilt es zu klären, ob sich im [vorliegenden] Stand der Technik insgesamt eine Lehre findet, die den mit der objektiven technischen Aufgabe befassten Fachmann veranlassen würde (nicht nur könnte, sondern würde), den nächstliegenden Stand der Technik unter Berücksichtigung dieser Lehre zu ändern oder anzupassen und somit zu etwas zu gelangen, was unter den Patentanspruch fällt, und das zu erreichen, was mit der Erfindung erreicht wird (siehe G‑VII, 4).

Mit anderen Worten geht es nicht darum, ob der Fachmann durch eine Änderung oder Anpassung des nächstliegenden Stands der Technik zu der Erfindung hätte gelangen können, sondern darum, ob er tatsächlich dahin gelangt wäre, weil der [vorliegende] Stand der Technik ihn dazu veranlasste in der Hoffnung, dadurch die objektive technische Aufgabe zu lösen, bzw. in der Erwartung, eine Verbesserung oder einen Vorteil zu erzielen (siehe T 2/83).

Folgender Fall:
  • Streitpatent: zwei Balken sind mit Schrauben verbunden (der Patentgegenstand sei neu)
  • nSdT D1 (nächstliegender Stand der Technik): zwei Balken sind mit Nägeln verbunden
  • Fachwissen aus Druckschrift D2: "Nägel oder Schrauben sind besonders geeignet, Werkstücke zu verbinden, wobei man aus den Gründen X, Y, Z bevorzugt Schrauben verwendet"
Seitens EPA und Patentinhaberin werden im Rahmen der Überprüfung von Could-Would folgende Argumente gegen das Naheliegen der Schraubenverbindung angeführt:
  • Es gibt im nSdT (Nagelverbindung) keine Motivation für den Fachmann, überhaupt tätig zu werden.
  • Dem nSdT (Nagelverbindung) sind keine Hinweise auf dessen Nachteile zu entnehmen (die den Fachmann motivieren könnten, tätig zu werden).
  • Dem nSdT (Nagelverbindung) ist kein Wunsch nach alternativen Lösungen zu entnehmen.
  • Die Lösung gemäß nSdT (Nagelverbindung) ist "gut genug".
  • Die Balken müssten zu sehr abgeändert werden, damit sie verschraubt anstatt vernagelt werden könnten
  • Es gibt außer Schrauben und Nägeln noch viele andere Verbindungsmittel, also ist die Auswahl von Schrauben erfinderisch.
  • Die in D2 abgebildeten Schrauben sind entweder viel zu groß oder viel zu klein zur Verbindung von Balken. Eine für Balken geeignete Schraubengröße ist in D2 nicht gezeigt.
  • D1 sind keine Hinweise zur Heranziehung von D2 zu entnehmen.

Mit dieser Argumentation wollen EPA und Patentinhaberin unterbinden, dass als Alternative zur Nagelverbindung eine Schraubverbindung überhaupt erst herangezogen wird.

Mit anderen Worten, es wird gar nicht in den Problem-Solution-Approach eingestiegen, da der Fachmann "gar keinen Anlass habe, überhaupt tätig" zu werden.

Tödlich ist meist viel eher die Diskussion, weshalb der Fachmann angesichts eines natürlich nur in den schillerndsten Farben geschilderten Standes der Technik (=ältere Patentanmeldung, die sich meist zu ungelösten Problemen ausschweigt) überhaupt tätig werden sollte.

Darüber habe ich mich kürzlich mehrfach in Einspruchsverhandlungen ärgern müssen, dass selbst platteste Trivialitäten (und ich bin einiges gewohnt) irgendwie durch den Stand der Technik angeregt werden müssen. Die Einspruchsabteilung wollte Anregungen aus dem Grundwissen des Fachmanns offenbar überhaupt nicht berücksichtigen, es zählten nur solche aus dem nSdT selbst. Auf diese Weise kann man natürlich fast nie zum Ziel kommen.

Diese Argumentation des EPA ist doch grob rechtsfehlerhaft?

Ich habe keine einzige Rechtsprechung oder Literaturstelle dazu gefunden, die das "überhaupt erstmal tätig werden" des Fachmanns thematisiert oder gar zum Bestandteil des Problem-Solution-Approach oder des Could-Would-Approach macht.

Richtig ist doch hier folgende Vorgehensweise:
  • Streitpatent: zwei Balken sind mit Schrauben verbunden (der Patentgegenstand sei neu)
  • nSdT D1: zwei Balken sind mit Nägeln verbunden
  • Objektive Aufgabe: Bereitstellung einer Alternative zur Verbindung von Balken mit Nägeln
  • Druckschrift D2 als Beleg für allgemeines Fachwissen: Schrauben als Alternative für Nägel sind naheliegend
Da der Fachmann aus seinem allgemeinen Fachwissen weiß, dass Schrauben (sogar bevorzugte) Alternativen zu Nägeln sind, ist der Gegenstand des Streitpatents naheliegend.

Ein Hinweis im nSdT auf die Heranziehung von D2 ist nicht erforderlich, da die objektive Aufgabe in der Bereitstellung einer Alternative besteht (vgl. T 1696/13):
"Die Beschwerdeführerin I hatte schriftlich vorgetragen, dass es für den Fachmann im Stand der Technik keinen Hinweis gegeben habe, in Druckschrift (6) nach einer Lösung seiner technischen Aufgabe zu suchen. Daher habe er, entsprechend des "could-would" Ansatzes keine Veranlassung gehabt, spezifisch und zielgerichtet eine aliphatische oder cycloaliphatische Isocyanat-Komponente zur Herstellung des Polyurethan-Elastomers auszuwählen.

Indessen ist festzustellen, dass der Fachmann, sofern die Aufgabenstellung lediglich in der Bereitstellung einer Alternative besteht, keinen speziellen Hinweis im Stand der Technik benötigt. Er würde vielmehr auf alle in dem jeweiligen technischen Gebiet bekannten Alternativen zurückgreifen. Daher kann dieses Argument der Beschwerdeführerin I nicht durchgreifen."

Die pauschale Notwendigkeit eines Hinweises im nSdT für die Kombination des nSdT mit weiteren Druckschriften wird sogar von den Beschwerdekammern verneint:
"Der Fachmann, der von einem Element aus dem Stand der Technik ausgeht und ein bestimmtes Problem zu lösen hat, braucht nicht unbedingt einen mit diesem Element zusammenhängenden "Hinweis". Sonst wäre es nie möglich, ausgehend von einem offenkundig vorbenutztem Objekt, das in der Regel von keinerlei Hinweisen begleitet ist, mangelnde erfinderische Tätigkeit festzustellen." (T 905/17)
"Im Fall einer willkürlichen Auswahl [aus mehreren Lösungen muss] der Stand der Technik keinen Anreiz für den Fachmann enthalten, sich für die konkrete, beanspruchte Lösung zu entscheiden." (T 1862/15)

Danke für Meinungen hierzu.
 
Zuletzt bearbeitet:
Oben